06.11.2025

Stellungnahme zum Entwurf des Berliner Bildungsprogramms

Vielfalt braucht Substanz

Für ein zeitgemäßes Berliner Bildungsprogramm

Das Berliner Bildungsprogramm (BBP) bildet die Grundlage für alle pädagogischen Konzepte und Schwerpunktthemen in den Berliner Kitas. Es setzt Standards dafür, wie Kinder in Kitas gefördert werden, welche Schwerpunkte pädagogische Konzepte setzen und welche Themen in Fortbildungen behandelt werden. Damit trägt es maßgeblich dazu bei, wie Kinder in dieser Stadt aufwachsen – und welche Werte sie erleben. Es ist entscheidend, dass dieses Programm die Lebensrealität in Berlin abbildet – vielfältig, inklusiv und diskriminierungssensibel.

Als studierendenWERK BERLIN haben wir uns den Werten Chancengleichheit, Integration und Gleichbehandlung schon in unserer Satzung verschrieben. Wir schaffen Räume, in denen alle Menschen – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Behinderung oder sexueller Identität – frei von Diskriminierung, Mobbing und Herabwürdigung leben, lernen und arbeiten können. Das gilt selbstverständlich auch für alle Mitarbeitenden und Kinder in unseren Kindertagesstätten.

Diese Werte müssen sich als Basis frühkindlicher Bildung im Berliner Bildungsprogramm wiederfinden. Denn in den Kitas werden die Grundlagen für respektvolles Zusammenleben, Toleranz und Gerechtigkeit gelegt. Ein Bildungsprogramm, das Prinzipien der Vielfalt, Inklusion und Antidiskriminierung nicht klar benennt, widerspricht nicht nur seinem eigenen Anspruch, sondern auch den Werten, auf denen unser gesellschaftliches Zusammenleben basiert.


Der überarbeitete Entwurf des BBP bleibt hinter diesen Anforderungen zurück. Antidiskriminierung, Inklusion und Diversität werden kaum inhaltlich unterfüttert. Damit verfehlt das Programm seinen Auftrag, Kinderrechte zu schützen und Bildungsgerechtigkeit zu fördern.

Warum ist das BBP so wichtig?

Das BBP ist mehr als ein Leitfaden – es ist der Rahmen für alle Bildungsprozesse in Berliner Kitas. So bildet es z.B. die Grundlage für:

  • die pädagogischen Konzepte von Trägern und Einrichtungen,
  • die Themen und Inhalte von Fort- und Weiterbildungen,
  • den fachlichen Austausch mit Eltern,
  • und die Argumentationsbasis gegenüber diskriminierenden oder ausschließenden Haltungen.

Was im Bildungsprogramm nicht steht, findet in der Praxis kaum statt. Wenn Themen wie Antidiskriminierung, Diversität und Inklusion fehlen, entsteht der Eindruck, sie seien optional. Das ist gefährlich!

Vielfalt in Berlin - Realität und Verantwortung 

Berlin ist eine vielfältige Stadt: Rund 40 % der Berliner*innen haben einen Migrationshintergrund. Unterschiedliche Sprachen, Kulturen, Familienformen und Lebensweisen prägen den Alltag in dieser Stadt. Die Hauptstadt hat eine Vorreiterinnenrolle – auch im Bildungsbereich. Doch der überarbeitete Entwurf des Berliner Bildungsprogramms wird dieser Verantwortung nicht gerecht.

Antidiskriminierung, Diversität und Inklusion werden zwar erwähnt, aber nicht inhaltlich differenziert ausgeführt. Damit fehlt die Grundlage für eine Pädagogik, die allen Kindern gerecht wird und ihnen echte Teilhabe ermöglicht.

Vielfalt braucht Tiefe

Im aktuellen Entwurf werden die Dimensionen von Vielfalt nicht ausreichend erklärt oder mit Leben gefüllt. Ein Bildungsprogramm, das diese Lebensrealitäten nicht aktiv aufgreift, fördert unbewusst Ausschlüsse. Vielfalt darf nicht als Zusatzthema verstanden werden, sondern als Grundprinzip pädagogischer Qualität!

Fehlende oder defizitäre Darstellungen betreffen unter anderem:

  • soziale und kulturelle Vielfalt
  • unterschiedliche Familienformen
  • Sprachen und Mehrsprachigkeit
  • geschlechtliche und sexuelle Vielfalt
  • unterschiedliche Lebensrealitäten und Herkunft

Mehrsprachigkeit wird häufig als Defizit beschrieben statt als Ressource. Geschlechtliche Vielfalt und Gendergerechtigkeit werden kaum erwähnt. Themen wie Diskriminierung und Rassismus werden nicht behandelt. Damit fehlt die Grundlage, Kinder in ihrer individuellen Identität zu stärken und Diskriminierung vorzubeugen.

Inklusion als gemeinsame Aufgabe

Inklusion wird im Entwurf nur als Spezialthema behandelt. Inklusion bedeutet, dass alle Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit willkommen sind und Teilhabe aller ermöglicht wird. Im aktuellen Entwurf wird der Begriff Inklusion vor allem aus einer defizitären Perspektive betrachtet, insbesondere im Hinblick auf Kinder mit Einschränkungen. Inklusion betrifft jedoch das gesamte pädagogische Team. Ein breiter, zeitgemäßer Inklusions-begriff muss die gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten betonen und ist nicht Aufgabe einzelner Fachkräfte.

Kinderrechte sichern

Kinder haben ein Recht auf Schutz vor Diskriminierung, auf Unversehrtheit und auf Bildung in Würde und Gleichberechtigung. Diese Rechte können nur umgesetzt werden, wenn das Bildungsprogramm klare Standards und Handlungsgrundlagen bietet.

Folgen des aktuellen Entwurfs

Wenn die Themen Vielfalt, Inklusion und Antidiskriminierung nur am Rand erwähnt werden, hat das konkrete Folgen:

  • Sie werden im pädagogischen Alltag tabuisiert oder als „Sonderthemen“ behandelt.
  • pädagogische Fachkräfte können keine entsprechenden Kompetenzen aufbauen.
  • In der Ausbildung neuer Fachkräfte fehlen zentrale Inhalte.
  • Einrichtungen haben keine Argumentationsbasis gegenüber diskriminierenden Elternhaltungen.
  • Kinderrechte – insbesondere der Schutz vor Diskriminierung und das Recht auf Teilhabe – werden gefährdet.

 

Forderungen an die Berliner Politik

Wir fordern die Verantwortlichen in der Berliner Politik auf:

  1. Transparente Prozesse bei der Überarbeitung des Bildungsprogramms sicherzustellen.
  2. Praxis und Wissenschaft gleichberechtigt zu beteiligen.
  3. Das BBP zeitgemäß zu gestalten, basierend auf aktuellen fachlichen Erkenntnissen zu Diversität, Inklusion und Antidiskriminierung.
  4. Die Lebensrealität Berlins abzubilden und die vielfältigen Perspektiven der Stadtgesellschaft einzubeziehen.
  5. Klare und verbindliche Inhalte zu verankern, die Fachkräfte stärken und Kinderrechte schützen.
  6. Eine klare Haltung gegen Diskriminierung in allen Formen zeigen.

 

Fazit

Als studierendenWERK BERLIN setzen wir uns für Chancengleichheit, Vielfalt und Dis-kriminierungsfreiheit ein – nicht nur im Hochschulkontext, sondern als gesellschaftliches Prinzip. Wir erwarten, dass auch das Berliner Bildungsprogramm diese Haltung teilt und in seiner Struktur sichtbar macht.

Berlin braucht ein Bildungsprogramm, das Haltung zeigt, das Kinder in ihrer Vielfalt stärkt und Fachkräfte befähigt, Diskriminierung aktiv entgegenzutreten. Nur so können wir die Werte leben, die unsere Stadt ausmachen: Respekt, Gleichberechtigung und gelebte Vielfalt.

Kontakt 

Anja Kunstmann (Bereichsleitung Kindertagesstätten)
Silke Kaufmann (pädagogische Fachberatung Kitas)

kita@stw.berlin