14.01.2020

Feuerbäume, Komm ich zeig dir wer ich bin!, Rot sehen

von Sally Strauchmann gelesen am 14.01.2020

Feuerbäume

Sie sitzen auf dem Fliesenboden. Demonstratives Zeichen ihrer Jugend. In die WG passen 8 Leute nur auf 3 Zimmer verteilt. Wer den Raum wechseln will, muss erst an ihnen vorbei. Die Weingläser halten sie hoch wie protestführende Feuerfackeln. Sie stoßen jedes Mal aufs Neue auf die Jugend an, auf Ziele für die sie nächstes Jahr noch die Gläser klingen lassen, auf eine Zukunft deren Planung nur bis Sonntagabend reicht.

Am Kühlschrank hängt eine Überwindungsliste, Dinge die man ewig aufschiebt und später bereut nicht getan zu haben. Unangenehme Fragen, das erste Mal den ersten Schritt wagen, Schulden bei seinen Freunden begleichen, in das Uni- Orchester aufgenommen werden. Dinge, von denen man nicht hören will, dass es für ihre Umsetzung zu spät ist.
Während sich die Sitzblockade Wein nachschenkt und langsam von Smalltalk zu den wirklich interessanten Geschlechterthemen abdriftet, bleiben ihre Gedanken wie ein lästiger Notizzettel an der Liste kleben. Es gibt Tage an denen allein das Aufstehen Überwindung kostet, Tage von denen sie nicht viel erwartet, weil der erste Gedanke genauso traurig ist wie der letzte Traum. Tage, an denen sie rückwärts mit geschlossenen Augen in ihre schlechten Gewohnheiten zurückfällt, als wäre es Teil einer Vertrauensübung. Tage an denen sie genau weiß, was zu tun wäre, um den Tag besser zu machen, aber keine Kraft hat. Tage an denen sie genau weiß, wie man den Abend nicht mit Nachdenken verschwendet, aber zu müde ist. Tage an denen sie genau weiß, dass man manche Zahlen nicht zählen und manche Vergleiche nicht anstellen sollte, und es trotzdem tut. Es sind Tage, an denen sie alles Überwindung kostet, an denen es schwerfällt nicht zu weinen wenn man die Endlichkeit bedenkt, an denen es schwerfällt zu wissen was man will, wenn das Wollen nichts am Sein zu ändern scheint.
Doch es gibt Tage, an denen einen das Leben überrascht. Tage, deren kurze Augenblicke ihr Anlass genug sind es mit den anderen aufzunehmen, Tage an denen sie vergisst, warum sie gestern nochmal traurig waren, an denen sie lacht, weil das Leben leben so einfach sein kann. Tage an denen sie nach dem Aufwachen die Bilder an der Wand gegenüber ansieht und glücklich ist die abgebildeten Momente erlebt zu haben, glücklich ist einen Beweis zu sehen, dass sie selbst schon so oft so glücklich war. Es sind Tage, an denen kein Satz falsch formuliert den Mund verlässt, keine Chance verpasst wird und kein Punkt auf der To-Do-Liste unabgehakt bleibt.
Würde ihr Name auf der Überwindungsliste stehen, sie wüsste nicht wie sie die Herausforderungen benennen sollte, die sich ihr in den Weg stellen. Jahrelang spürte sie, dass sie etwas klären musste, dass sie manche Themen nie kalt lassen und manche Gefühle nie ganz verlassen würden. Aber sie spürte, dass es besser werden könnte, wenn sie sich ihnen stellte. Doch anstatt einer inneren Ruhe spürt sie seitdem die Suche nach Herausforderungen, nach Überwindungen, nach etwas, das nicht gleich herzzereißend oder tragisch und trotzdem eine Herausforderung wäre. Eine Art Leere, Teil einer stummen Erkenntnis das man nicht immer die Dinge aber ihren Umgang mit ihnen ändern konnte, und das, wenn man sich von der Traurigkeit lösen konnte, trotzdem ein Loch zurück bleibt. Es ist ein bisschen wie ein Flächenbrand, der sich alles einverleibt und das Leben dominiert. Irgendwann gelingt es diesen Brand zu löschen. Doch zurück bleibt ein Aschehaufen, ein totes Loch, ein Fehlen aber kein Wehtun, kein Brennen mehr.
Einer der Sitzblockadenführer spricht lallend den nächsten Toast: „Auf die guten Tage!“ Auf die guten Tage, prostet sie in Gedanken zurück und denkt an Feuerbäume, die erst brennen müssen um zu wachsen. Vielleicht würde sie das auf die Liste schreiben: an guten Tagen wachsen.

Komm ich zeig dir wer ich bin!

Immer wenn ich glaube mich zu kennen,
mich zu mögen, wie ich bin,
will ich mich bei anderen Namen nennen
bin Partyqueen und Frühaufsteherin

Komm ich zeig dir wer ich bin, meine Ängste meine Sorgen
Meine Geheimnisse, das was in mir ist verborgen
Hinter bunten Fassaden
Die so viel erzählen ohne etwas zu sagen

Immer wenn ich glaube glücklich zu sein
Fällt mir etwas ein
Dass mir zu meinem Glück noch fehlt
Und selbst wenn ein Moment glückerfüllt sein kann
Sind sie doch immer abgezählt.

Komm ich zeig dir wer ich bin, meine Ängste meine Sorgen
Meine Geheimnisse, das was in mir ist verborgen
Hinter bunten Fassaden
Die so viel erzählen ohne etwas zu sagen.


Ich suche Sicherheit im freien Fall,
Standhaftigkeit im Weltall,
Ich ertränke meine Einsamkeit in fremden Menschenmassen
Will meine Freiheit ohne die Routine loszulassen
Hoffe immer das Beste als pessimistischer Realist
Frage meine Fotos immer wer das darauf ist
In den schwächsten Momenten war ich immer sehr stark
Weil alles zerbricht was ich trotz Schwäche trag´
Ich gebe mein bestes jemand zu sein,
Doch ein jemand scheint so unbedeutend klein
Tanze zu den Lieblingsliedern der anderen
Weil meins noch nicht erfunden ist
Das gibt es erst wenn der Beat auch meinen Herzschlag misst

Komm ich zeig dir wer ich bin, meine Ängste meine Sorgen
Meine Geheimnisse, das was in mir ist verborgen
Hinter bunten Fassaden
Die so viel erzählen ohne etwas zu sagen
Komm ich zeig dir wer ich bin, wenn du mir dich zeigst und wir zusammen finden, was wir eigentlich wollen und wer wir überhaupt sind.

 

Rot sehen

Du sagst ich sei nicht gut genug, nicht geraderaus sondern dann wenn du gegen meine Vorwürfe tobst. Füll deine Schwächen auf, spiel deine Stärken nicht aus, als wäre ich ein halbvolles Glas Wasser. Ich höre mir das eine Zeit lang an, bis ich mich frage, wie es meine Schuld sein kann, dass ich nicht anders denken kann? Und spätestens dann: Sprichst du´s aus. Ich bin nicht gut genug, denke zu viel, mache zu wenig, verstehe dich nicht und bin egoistisch- tauge nichts- und ich merke wie die Welle wieder losbricht:
Es ist nicht so, dass ich zu feige zum Lieben war,
doch jeder, den ich neu in mein Leben ließ –
hat mir wehgetan.
Und so überschwemmt mich jedes Mal aufs Neue die rote Ampelflut, Wiederholungen machen ihre Vorwürfe absolut, mit jedem Mal sinkt der Mut und irgendwann sehe ich rot.

Du meldest dich nicht, bin ich die Einzige, die Silvester alleine zuhause sitzt? Fragt sich denn keiner meiner Freunde, wer heute an mich denkt? Und ob ich nicht auch irgendwo eingeladen bin? Ich scrolle eure Partybilder durch, danach ziehe ich die Pralinenschachtel ins Selbstmitleid, heule zu den schrecklichen Pophymmnen der letzten Zeit, darum, dass mich die Welt vergessen hat. Und wenn alle von 10 bis 1 runterzählen, höre ich wie meine innere Stimme sagt:

Es ist nicht so, dass ich zu feige zum Lieben war,
doch jeder, den ich neu in mein Leben ließ –
hat mir wehgetan.
Und so überschwemmt mich jedes Mal aufs Neue die rote Ampelflut, Wiederholungen machen ihre Vorwürfe absolut, mit jedem Mal sinkt der Mut und irgendwann sehe ich rot.

Du hast nicht gesehen, dass es mir schlecht ging, hast dich von billigen Ausreden abspeisen lassen. Wir haben über alle Probleme gesprochen, doch meine waren nur zweiter Klasse. Ich kriege das schon hin, wollte meine Angst nicht hören. Ein das wird schon! Kann meinen Mut darüber zu sprechen zerstören. Am Ende habe ich meine Probleme sich selbst überlassen und nur noch gedacht:

Es ist nicht so, dass ich zu feige zum Lieben war,
doch jeder, den ich neu in mein Leben ließ –
hat mir wehgetan.
Und so überschwemmt mich jedes Mal aufs Neue die rote Ampelflut, Wiederholungen machen ihre Vorwürfe absolut, mit jedem Mal sinkt der Mut und irgendwann sehe ich rot.

Rot sehen. Eine Zeit lang überfahre ich die roten Ampeln, bin auf der Überholspur, werde verfolgt und wenn die Ampel nicht auf grün schaltet, erwischt. Rot sehen. Meine letzte Chance- du würdest mir die Ampeln noch umstellen.
Denn: Es ist nicht so, dass ich zu feige zum Lieben war,
doch jeder, den ich neu in mein Leben ließ –
hat mir wehgetan.
Und so überschwemmt mich jedes Mal aufs Neue die rote Ampelflut, Welle um Welle, die immer auf die gleiche Art und Weise weh tut.
Wiederholungen machen ihre Vorwürfe absolut, bis ich sie selbst glaube
mit jedem Mal sinkt der Mut neu zu lieben, mich zu öffnen, unbefangen eine Tür zu öffnen
Denn wenn niemand diese Kette unterbricht, bleibe ich stehen, fahre nicht los denn dann sehe ich rot.