13.04.2022

wieder fahren oder: das ist beinah gut

April 2022 - Paula van Well

M. sitzt mit eingefalteter fassung und bemüht sitzendem mantel am bahnsteig und gleis. niemand wartet auf sie; das ist beinah gut. mit aufgesetzter miene und stoischem hut klammert
M. am bahnsteig und gleis an ihre tasche ihren körper wie wäsche zur trocknung an den ständer dran: wartend.

wann wird es mir widerfahren?, fragt sie den hut.
indes wuseln die ratten und es knistern die uhren, es schrumpeln die häute, es grassiert der

sud mit der W. im dreiklang (atonal).
am morgen sitzt M., ach, immer noch da, am bahnsteig am gleis. die kapuze abwärts entlang der wimpern und den schal um die silhouette: rattern die z-z-züge – nein, sie gleiten vorbei. die stetige abnahme des ratterns, das ist was, ein phänomen, denkt M. und sieht, es findet auf allen ebenen statt; kein persönl. computer, kein automobil oder rädchen, kein kopf mag mehr rattern – sieht es und scharrt mit dem schuh. M. malt sich das ende der W. aus und es kommt dem versiegen des ratterns sehr nah. ist ein gleiten, rasend so schnell, dass es steht.

vielleicht dieses mal – vielleicht?
am abend ist am bahnsteig am gleis noch immer zu finden: M., ja, wer sonst. die habe eines lebens baumelt ihr plastiktüten und olivgrünfarben unter dem schoß, hängt 

zwischen dem bein und dem griff, siehe da, zugeschnürt.
nichts wartet auf sie; das ist beinah gut.
sie zwickt den schläfrigen hut, entfaltet die fassung. bezieht den sitzenden mantel (komm, steh auf!). es ist ihr, wie’s scheint, auch diesmal nicht widerfahren, dass sie ein steig zum bleiben anhielt. drum lässt sie die habe mitsamt ihrer miene auf der bahnhofsbank liegen und steigt in den zug, denn wenn er ja nicht wartet, so fährt er vorbei.

Foto: Anne Pehla

Foto: Anne Pehla