02.04.2020

Was man träumt

April 2020

Eine leere Stadt macht einen vollen Kopf, denkt man, und starrt vor sich hin und liest von Winnie dem Pu oder Madita. Noch nie haben so viele Studierende es sich auf einmal wieder bei den Eltern bequem gemacht, denkt man, außer für ein paar Feiertage.

Man kann nun auf der Straße laufen. Zum ersten Mal gibt es keinen Lärm vom Restaurant unter dem Schlafzimmer und man fühlt keine Genugtuung. Es ist eine seltsame Zeit, sagt man sich, plötzlich kochen wir so viel, aber sonst geht es uns ja gut, oder, es geht uns doch gut?

Im Görli stehen die Verkaufenden weiter auseinander. Wir fragen uns, ob gerade der Umsatz steigt. Mein Kopf fühlt sich an wie ein seltsamer, schwerer Backstein. Wir versuchen, Filme zu schauen, konzentrieren uns nicht, optimieren keine Zeit, liegen im Dunkeln vor blauen Bildschirmen.

Am fünften April, es sind in der Sonne etwa über zwanzig Grad, fallen Rubens Schlüssel in den Landwehrkanal. Er versucht sie zu finden, erst mit einem Stock, irgendwann, einer davon ist richtig wichtig, zieht er sich bis auf die Unterhose aus und klettert von einem Schlauchboot heraus ins braune Wasser. Er findet keinen Schlüssel, ihm wird nur furchtbar kalt. Auch im heißen Bad fröstelt er. Ich koche uns Bohnen mit Spinat, nachts wird ihm wieder warm und zum ersten Mal, seit wir uns kennen, ist er vor mir wach.

Ich träume nicht vom dreckigen Kanal, sondern von Bohnen.

Ich träume laut, weil alles leise ist, ich träume von der türkischen Küste, von den mit Reis gefüllten Muscheln, über die man Zitrone quetscht und isst, bevor man ins salzige Wasser taucht. Ich träume viel von Essen, weil Essen besser schmeckt, wenn man es draußen isst und im Warmen und es einen erfrischt oder befriedigt, als wenn man dreimal am Tag auf einem Polstermöbel verträumt auf den Bildschirm starrt und sich selbst befüllt.

Im Sommer wollten wir zurück in das Haus in der Türkei fahren, alle gemeinsam. Urlaub mit Lieben. Muscheln am Strand und vorm Ventilator trocknen. Ob wir die Katzen ins Haus lassen jeden Tag neu diskutieren. Am Ende schleichen sie eh herein. Jetzt planen wir, stattdessen im Winter zu fahren, oder nächsten Sommer. Wie gut wir es haben, einfach nächsten Sommer zu fahren. Man darf ja nicht heulen, man sollte träumen. Vom Geruch des Grills. Von einer Wassermelone, die so knackig ist, dass es beinah wehtut.

Ich schreibe einen Liebesbrief im Schlaf. Daran, wie man sich den Rücken kraulen kann, wenn man so eng befreundet ist, wie wir. Daran, wie sich Sonne in den Gläsern der Brille spiegelt, und das Braun der geliebten befreundeten Augen golden macht. daran, dass man heulen darf und das ist okay, und man muss sich nicht entschuldigen, man kann die Rotze am Pullover abschmieren. Man darf aber auch nicht heulen und sich anschauen und alles voll scheiße finden und nichts essen wollen, nur Wein trinken, und dann mit einem heißen Kopf einschlafen. Man muss nicht einer Meinung sein. Man kann auch keiner Meinung sein. Niemand braucht noch eine Meinung zum Nahostkonflikt und man kann sich über seiner Suppe sitzend einig sein. Über seinem Wein brütend uneinig oder kein ich sein. Träume einen Liebesbrief daran, dass es sanft ist und still und trotzdem das Beste von allem und vom Hier. Einen Liebesbrief daran, sich den ganzen Tag aufeinander zu freuen und extra schnell mit dem Fahrrad zu fahren, um sich zu sehen, weil man sich jetzt Zeit nimmt und sich anschaut. Träume einen Liebesbrief an Dates miteinander und dreckige Hintern am Kanalufer und an den Geschmack vom Sonnenaufgang. Daran, dass man sagen kann, kannst du mich mal am Rücken kratzen und man weiß genau wo gekratzt werden muss. Daran, dass man Bier ausgibt, einen Liebesbrief an jedes ausgegebene Bier auf dieser Welt träume ich noch, jedes, das besser schmeckte, weil es ausgegeben wurde.