28.06.2018

Was machen an einem achten Tag?

Juni 2018

 

Heute fühlt sich komisch an. So als ob es plötzlich einen extra, achten Tag in der Woche gibt. Stelle ich mir die Tage als Sandwich vor, wäre gestern eine dicke Scheibe Weißbrot gewesen. Morgen wäre auch eine dicke Scheibe Weißbrot. Beide Tage sind zum Reinbeißen. Vielleicht sind sie leicht angetoastet und gebuttert. Salzig gebuttert.

Heute, dagegen, ist ein Tag des Nichts, eine einsame, kahle Insel umgeben von einem Meer der Geburtstagerei: am Wochenende gab es ein Geburtstag; gestern bin ich 28 geworden; morgen gibt es noch ein Geburtstag. Aber heute gibt es gar nichts, im Sandwich wäre heute die Teewurst, und Teewurst mag ich nicht besonders. Machst du mir ein Sandwich mit Teewurst drauf, würde ich es mit einem Messer abkratzen, wenn du nicht guckst.

An so einem Tag ist es nicht leicht, sich zu bewegen. Man liegt auf dem Sofa und denkt, man könnte vielleicht für immer auf dem Sofa liegen. Es wäre schlau, schon mal Derrida für die Uni zu lesen wenn man eh schon rumliegt. Man tut es nicht. Man kann seinen Namen eh nicht authentisch französisch aussprechen, so what’s the point? Man kann auch nicht schreiben. Jetzt hilft weder Shakespeare noch Netflix. Und wenn das nicht, was dann? Auf dem Sofa bleiben? Zurück ins Bett? Sich trotzig unter den Schreibtisch setzen und bis morgen abwarten?

Um einen psychischen Weltuntergang zu vermeiden, muss man manchmal einfach raus. Hier also drei Ausgehtipps für einen achten-Tag-Notfall.

DAS PRINZENBAD

Zwing dich, zitternd, in den Badeanzug herein. Radel langsam und beschwerlich zum Prinzenbad mit einem fast komplett platten Reifen. Der Weg ist heute nicht das Ziel.

Im Wasser. Erst aus Versehen in das eiskalte Becken. Schnell raus und in das nicht ganz so kalte. Freue dich, dass du es geschafft hast, und inhaliere dabei eine Mischung aus Chlorwasser und Baumblüten.

Versuch dich daran zu erinnern, wie das Prinzenbad im Film Herr Lehmann aussah. Übe danach den Tanz von Sonnenallee im Kopf.

Eine Frau Mitte 70 fliegt mehrmals die Wasserrutsche runter. Sie grinst dich an. Sie sagt, “das mache ich jeden Tag. So bleibe ich jung.”

Du grinst zurück.

CAFE GOLDMARIE

Mehrere Semesterarbeiten wurden hier geschrieben. Wein getrunken auch, manchmal beides gleichzeitig. A break up and down both. Meine Mutter brachte ich zum Frühstück ins Goldmarie. Ich kenne den Hund. Ich kenne alle Kuchen in der Vitrine.

Heute treffe ich mich mit eine Journalistin. Wir reden über Heimweh. Was mache ich hier? Gehe ich irgendwann zurück? Irgendwann rettet sie die Situation und erzählt mir von Krebsen, die im Tierpark gefangen und in der Markthalle Neun bestellt und gegessen werden können.

 Der Fotograf will, dass ich mich auf die Schaukel vor dem Cafè setze. Ich muss an das erste Mal denken. März 2013, Schnee, kanadische Pizza unter einem Mooskopf und dann dieser Platz, die Laternen und der Kopfsteinpflaster. Die Brücke, der Kanal. Ich bin fast umgekippt vor lauter Romantik. Zum Glück gab es diese Schaukel.

MONSTER RONSON’S ICHIBAN KARAOKE

Komm doch mit, sagt eine Freundin. Wir liegen nebeneinander und lesen beide Mohsin Hamids Exit West für ein Seminar, ‘Narratives of Exile and Migration’. Eine Liebesgeschichte, aber dann wiederum auch nicht. Man verliert sich wie im echten Leben. Refreshing. Es fällt mir Sand vom Buch ins Gesicht, und ich knirsche laut mit den Zähnen.

Ich habe noch nie Karaoke gesungen.

 “Are you joking?” sagt sie. Es muss eine rhetorische Frage sein, denn heute ist kein Tag für Witze. Daür ist es aber ein Tag für MultiSEXualBOXhopping.

 Erstens heißt das, erklärt die Türsteherin, dass man in die 14 Karaoke Boxen rein- und wieder raustauchen darf. Man kann überall mitsingen. Zweitens: Menschen aller Sexualitäten sind willkommen. Wir werden also gefragt, ob wir auch Menschen aller Sexualitäten tolerieren.

“Klar,” sagen wir.

“It’s about the Stimmung,” warnt die Türsteherin.

Wir nicken.

“Maybe you’re not lesbian. Maybe you’re not gay. I don’t know. I can’t look in your heads.”

Die Freundin und ich unterdrücken ein Grinsen.

Sie mustert uns. “Okay,” sagt sie. “Have fun.”

Ich singe Shania Twains Man I Feel Like A Woman. Danach Tatu, All The Things She Said. Ich schwitze nicht wenig mit zehn anderen in eine kleine Kiste für sechs gedacht. Ich stelle fest, dass ich nicht singen kann. Es kann niemand singen. Wir tolerieren uns aber ganz artig gegenseitig.