12.09.2018

SLEEPLESS IN WEDDING

September 2018

Ich bin in Wedding auf eine Kücheneinweihungsparty eingeladen, und steige Amrumerstrasse aus.

“Der Wedding kommt”: die Graffiti gibt es nicht mehr. Vor vier Jahren als ich noch da gewohnt habe, stand es immer wieder mal an den Kacheln, eine kompakte schwarze Schrift auf weiß. Die Botschaft wurde regelmäßig weggeschrubbt, aber sie tauchte immer wieder auf. Der Wedding kommt, dann doch nicht, dann doch wieder.

Der Wedding riecht noch genauso wie damals. Abgas, erst mal. Waschmittel. Aufregung. Der türkische Obst- und Gemüseladen steht noch. An meiner alten WG laufe ich schnell vorbei. Die haben mich im ersten Monat getauft - Karlotta, Karl Otter, Karl. “So süß ist sie,” meinten sie nach dem Casting, und ich konnte drei Jahre lang das Wort nicht loswerden.

In Wedding bebte mein kleines Zimmerchen bei jedem LKW, der vorbei fuhr. Es gab eine Matratze auf den Dielen, sonst nicht viel mehr. Der Boiler ratterte und rauschte mit der ersten Dusche um halb sieben Morgens. Nachts seufzte er, als ob er schlecht träumte. Ich stellte ihn aus und wurde stattdessen mit dem ersten Wecker wach, stellte den Boiler wieder an.

Mai 2014 schrieb ich um 5 Uhr morgens: “sitting on the windowsill, queen of my long, ugly street, watching the waxing and waning of traffic at the lights.”

Als ich dann gar nicht mehr schlief, lief ich oft durch den Wedding um drei, vier, fünf, sechs Uhr morgens. Der Sprengelkiez erinnerte mich im Dunkeln an den Graefekiez. Mit dem einen Mitbewohner leckte ich die Regentropfen von Auto Windschutzscheiben. Mit meiner Mitbewohnerin habe ich vor der Pizzeria rumgeknutscht. Wir hatten zwei Balkone und kifften alle viel, starrten wie hypnotisiert die Flugzeuge an, die von Tegel starteten und landeten. Gegenüber leuchtete nachts die Charité.

Februar 2013 legte jemand den ausgetrockneten Weihnachtsbaum auf den Grill neben die Köfte und es kam die Feuerwehr. Die Nachbarn wurden geweckt und auf die Straße geschickt.

Seit Wedding kann ich nicht ohne Ohropax schlafen. Es kann todesstill sein; ich kapsle mich trotzdem ab und rausche selbst wie das Meer. Sonntag spät abends kribbeln meine Fingerspitzen immer noch manchmal kalt wie Höhenangst und ich weiß dann, es wird nicht geschlafen bis es fast wieder hell ist.