24.03.2020

Landkarte

März 2020

 

Dein Oberarm, der so weich ist, dass mein Daumen darüberfährt, wie ein Reibeisen, wenn Du morgens noch weiterschläfst und ich Dich anschauen darf. Wenn ich nachts todmüde bin und meine Beine hellwach, schlingst Du Deinen weichen Arm um mich, und ich kann ruhiger atmen. Er ist ein wenig breiter, als Du selber denkst, und ein bisschen weicher, als Du Dir selber vorstellen kannst. Er ist die Straßen rund um den Chamissoplatz, im ruhigen Teil des Bergmannkiezes, an einem Vorsommerabend, der wärmer ist als die meisten Juliabende und die Luft noch ganz ungewohnt freundlich zu einem. Dein Oberarm ist weich wie das Gefühl, seine Sandalen abzustreifen und sich ein wenig Dreck vom Fuß zu streichen, während man sein Eis isst. Die Luft ist weich wie Dein Name, wenn man ihn flüstert. Den gleichen Dreck, den man sich gerade vom Fuß streicht, würde man im Winter niemals berühren wollen, würde nicht einmal mit seinen Straßenschuhen über den Dielenboden in der Küche laufen wollen, wenn der Himmel nicht mehr so grau ist, wirkt auch der Dreck nicht mehr so dreckig wie vorher. Der Himmel über der Kastanienallee ist dreckig und grau und ich lege meine Wange auf die warme Brise, die um den Chamissoplatz streicht.

 

Dieser Gnubbel auf Deiner Brust, nicht ganz in der Mitte. Eine Kreuzung, eine, die ich auswendig kenne, am Hermannplatz zum Beispiel, nach Jahren immer noch nicht herausgefunden, ob links oder rechts über die Ampel, um auf die Mittelinsel zu kommen, von der Ecke Weserstraße aus, schneller ist. Es kreuzen sich hier alle Partien deines Oberkörpers, ich habe keine Ahnung von Kartographie, ich weiß aber, wie ich das hier zeichnen würde, wenn ich im Café unter deinen Pulli fühle, über dein T-Shirt, lässt sich der Gnubbel ertasten und ich weiß, es bist Du, nur mal sichergehen. Mal sichergehen, es bist Du, es ist die Kreuzung am Hermannplatz. Mal sichergehen, wenn Du ganz schlechte Laune hast, es bist Du. Mal sichergehen, wenn wir uns lange bei einer Party mit anderen Leuten unterhalten haben oder an einem Abend in einer Bar. Bist Du, der Gnubbel ist da. Langsam so vertraut wie der vertrackte Fußweg zur Mittelinsel.

 

Dein Körper wird meistens zur Stadt, wenn wir ineinander schlafen. Du schläfst mehr als ich und so darf ich dich auf der Stelle zwischen Arm und Achsel und Brustkorb vermessen und feststellen, dieser Punkt, an dem sich meistens auch ein wenig Schweiß sammelt, meine Stirn, deine Brust, dieser Punkt ist eine satte Wiese auf dem Tempelhofer Feld, man kann seine Wange darauf ablegen und der Stille zuhören und einschlafen oder ein Buch lesen. Es ist weich und am besten zu genießen mit nackter Haut. Manchmal fröstelst Du dann morgens und ich decke Dich mit meinem Körper zu, den Kopf in dieser guten Kuhle, auf dieser guten Berliner Wiese.

 

Der Abstand zwischen dem großen und dem nächstgroßen Zeh. Vielleicht: der Abstand zwischen Zürich und Berlin. Mal so klein, dass er nicht auffällt. Mal hast du Heimweh und der Abstand ist sehr groß, die schwarze Ledertasche sieht aus, als würde sie sich lange nicht füllen, und auch ich bin kein sonderlich großer Trost für den hässlichen Abstand. Manchmal auch ein hässlicher Abstand zwischen uns, zwischen Geschlechtern und Identitäten, zwischen dem Klang eines Rs und dem Gesang zwischen den Holzbänken am Fraenkelufer, an denen Du stehst und nichts verstehst, zwischen dem Wunsch, es sei mal alles normal in vier Wänden und dem Wunsch, auf keinen Fall normal zu sein. Das ist der Abstand zwischen Deinen Zehen, den Du nicht magst: für mich sieht er manchmal klein aus, aber ich weiß auch nicht, wie Dein Heimweh ist, was es macht, wenn wir nicht zusammen sind. Ob die Lücke dann wächst.

 

Zuletzt noch eine Stelle meines Körpers auf der Landkarte: meine Nebenniere, von der Google behauptet, sie würde Adrenalin ausschütten. Jedes Mal, wenn du auf mich zuläufst, schüttet sie so viel Adrenalin aus, wie, wenn man im stinkenden U-Bahnhof Friedrichstraße um die Ecke laufen will aber auf der anderen Seite auch jemand um die Ecke will. Man antizipiert, genau wie die andere Eckenperson, nicht, dass da jemand um die Ecke will, man will schnell weg vom Burrito-Urin-Lüftungsluftsgeruch, und ist ärgerlich, von der anderen, der gleichen Person, wiederum nicht antizipiert worden zu sein und erschrickt sich fürchterlich. Manchmal erschreckt sich meine Nebenniere fürchterlich, weil es Dich gibt, weil Du Punkte auf einer Landkarte bist und wenn man sie verbindet dann bekommen sie Menschenform und, oh, was für ein Mensch.