20.05.2020

innerer monolog

Mai 2020

kein innerer monolog darüber, was wir alle machen, wenn das alles vorbei ist. machen eh alle das gleiche sich umarmen und tanzen und arbeiten und gruppendinge tun.

kein innerer monolog darüber, was jetzt grad gut ist.

hier ist mein innerer monolog: manche sachen bleiben gleich. ich bin es trotzdem müde, leuten zu auf ihre nachrichten zu antworten. häufig telefonier ich bis mein hals weh tut. ich hasse das. ich bin trotzdem traurig, vielleicht auch nicht trotz dem, was grad ist, sondern immer noch. es ist erlösend, die füße aus dem fenster zu hängen. es ist erlösend, deine lippen zu küssen.

eine chronik von ereignissen, die sich nicht ereignen, und wir haben es vergessen. scheisse, wir haben ganz vergessen, vor drei tagen wäre das konzert gewesen, für das du mir karten zu chanukka geschenkt hast. wie einfach alles egal wird.

mein innerer monolog schaut ständig auf die straße unter dem balkon, weil ihm langweilig wird.

dort, weit unten, fast am bürgersteig hänge ich die beine über das geländer, damit an diesem ersten barfußtag soviel körper von licht bedeckt ist wie es nur geht. ich überlege, ob mir etwas wehtut, und merke, dass nein. das ist schön. ich öffne mein buch, eine liebesgeschichte. ich habe lang keine liebesgeschichte mehr gelesen.

gegenüber steht eine mutter mit ihren drei kindern, zumindest denke ich dass sie es sind. es sind zwei kleine und ein älteres, vielleicht so dreizehn, in diesem seltsamen alter, in dem man lieber einfach noch in ruhe spielen will, aber schon fast so groß ist wie die mutter. das ältere sitzt auf dem kinderfahrrad und fährt mit den füßen auf dem boden in seltsamer pose voraus und an der straßenecke wieder zurück zur familie. sie übergibt das fahrrad an das geschwisterkind. die mutter hält fest und läuft mit, ein paar mal die strasse rauf und runter. irgendwann lässt sie los. wie alle fahrradfahren gelernt haben, mit einem menschen im rücken, der loslässt und man merkt es nicht. bei mir war es mein großvater in einer bielefelder reihenhaussiedlung. die mutter lässt los und fängt lauthals an zu jubeln, während das kind über den bürgersteig fährt. ich würde so gern mitjubeln.

auf der pannierstrasse gibt es einen verkehrsunfall. während ich in der küche stehe und dressing rühre, senf und honig, salz und essig, olivenöl, knallt es laut. es ist ein auto in ein anderes gefahren, direkt dahinter ein polizeiauto. es geht allen gut, aber der fahrer vom schwarzen mercedes ist irgendwie weg, viele leute laufen näher und es kommt von allen seiten polizei. ein m29-doppeldecker-bus ist gefangen zwischen dem allen, vor ihm sind wannen und hinter ihm, der arme bus sieht ganz dick und verwirrt aus in all dem blaulicht. jemand schreit AUF DER BRÜCKE! später im internet lesen wir, dass der unfallbauer in den landwehrkanal gesprungen ist. dann passiert lange erstmal nichts mehr auf der pannierstrasse, der unbeholfene bus fährt wieder fröhlich durch die stadt. 

in der bushaltestelle schreit eine frau niemanden an: „ob wir uns verstanden haben habe ich dich gefragt“ brüllt sie. ich überlege so lang, ob ich zurückbrülle JA!!! bis der bus kommt und sie einsteigt. mein innerer monolog brüllt sehr lange, ja, wir haben uns verstanden.

ein kind sitzt auf einem der kleinen kindersitze für kleine kinderhintern vorne auf der fahrradstange von papa. beide tragen gestreift, das kind hat engelsgleiche locken und soweit ich es durch die gitter des balkon erkennen kann, ein rotzfreches grinsen. sie singen ein lied, die letzten worte rufen sie gemeinsam, eine rolle klopapier! ob das kind weiß, wie es gerade um das klopapier steht?