02.10.2018

Die Verwandlung

Oktober 2018

Ich komme rein und frage mich: Bin ich in einer Bar? Einem Tattoostudio? Einem Indie Magazine Laden? Einem Detox Smoothie Café? Einem Klamottenladen für Hipster Skaters? Baby Berghain? Es sind alles keine dummen Fragen, denn die Leute tragen hier alle Schwarz und haben Tattoos. Es gibt einen Tresen. Musik. Es gibt sowohl grüne Säfte mit grüne Stückchen wie fette, glänzende Zeitschriften voller schöner aber unglücklich aussehender Menschen. Ich hätte mir hier auch einen Oversize Pulli oder Käppi kaufen können, und auf der Toilette gibt es viele Graffitis, nackte Frauen mit Bleistift gemalt, keinen Spiegel aber die schriftliche Botschaft (Edding) dass jeder und jede der und die Schönste im ganzen Land ist, das wir keine Spiegel mehr brauchen.

Naming und Shaming ist nicht mein Ding. Ich werde nur sagen, dass ich um 10 Uhr früh an einem kalten Samstag in Neukölln blauäugig reinspaziert und eine knappe Stunde später mit einem eiskalten Nacken, Tränen und einen fast kahlrasierten Kopf — aber auch nur auf der linken Seite — raus bin.

Die Fakten: ich habe den ersten Termin des Tages. Es läuft eine Tibetan Chanting CD. Der Friseur guckt mich von oben nach unten, sagt geheimnisvoll, dass er eine echte Berlinerin aus mir machen wird, woraufhin ich ihm sage, dass es nicht sein muss. Nach dem Rauchen geht er erstmal koksen. Beim Schneiden zittert er, macht unberechenbare zackige Bewegungen und lässt dreimal die Schere auf mich fallen. Er macht lauthals beim Tibetan Chanting mit. Die CD hat er mittlerweile so laut gedreht, dass mein Stuhl vibriert. Irgendwann kommt eine Gestalt in gelb und orange um ihm Zitronenbonbons zu bringen und über Paul, die Fitness Studio Flamme, zu plaudern: seine Mutter. Er ist abgelenkt, murmelt er mir ins Ohr während er schneidet.

Just a trim, habe ich am Anfang gesagt (es ist ein Hipster Friseur Phänomen, dass alles auf englisch abläuft, auch wenn alle Beteiligten deutsche Muttersprachler sind); es passiert aber wirklich fast alles außer trimming. Es wird, bevor ich was sagen kann, rasiert. Ich bleibe höflich und lächel bis ich bezahlt habe. Ich frage mich, ob es was mit meine Britische Sozialisierung zu tun hat. Ich gebe ihm sogar auch noch ein Tip.

Ich bin am Abend verabredet. Es gucken alle höflich weg als ich meine Mütze ausziehe, außer eine Freundin, die zufrieden meint, ich wäre jetzt eine echte Lesbe.