04.04.2022

die Stadt ein Ort

März 2022 - Paula van Well

Sprecher: Behrad Beh Nezhad

 Lenua weiß sich zu durchstreifen. Die Papillarleisten erinnern so manche an behängtes Geäst. Len zieht sich an den Fußspitzen empor und greift nach dem Erdkern, dem Mittelpunkt, der Lava, dem Leck. Drückt Zwetschgen auf Himbeerhaut aus und stopft die Lücken mit deren Frucht und dem Fleisch. Len schießt spielerisch unter sich hinaus. Legt Fragen auf heißen Herdplatten ab und schaut ihnen beim Zischen zu – entreißt sie mit akribisch angespitzten Fingern der Hitze – kurz vor dem Brand – und leckt ihnen die verkohlten Stellen vom Rand. Unter Lens Kniescheiben: Lehm eingelagert und zwischen den Brauen: da liegt roter Sand. Len weiß zu durchstreifen sich.

Toni vermag sich in Zügen um die eigene Achse zu drehen. Während Abteile vor sich hin rudern, die Füße rütteln, die Schränke wippen, alles schlittert und nichts steht, stemmt To den Fahrtwind in eine Spirale und wirft sich hinein. To kommt's auf was an, es ist unwichtig, was. To hat wachsame Häute und wolkiges Haar. Die Zehen neigen sich zur Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Manchmal saugt Toni Reden das Stillschweigen aus und hinterlässt dessen Hülle abseits im Gras. To vermag sich in Zügen um die Achse zu drehen.

Lenua und Toni, sie rennen die langen Datteln entlang. Abseits, umwärts und drin der Alleen gellend die Stadt; gleißende Flecken Knoten aus Punkt. Unter der Woche meist Werktag, dazwischen die Nacht. Sie treffen auf Kreuzung, Dichtung, Abgas, Licht. Sie trinken Grüntee am Rande der Gleise und lesen sich die Handinnenleben in der Ringbahn, der U-Bahn, im Späti-Licht vor. Am Ende der Strecke greifen sie sich nach den Fingern und halten sich fest.

„Schau mal, die Stadt, wie sie atmet“,

dort am Görli liegen tote Katzen und im Grunewald sterben die Bäume und überall anders: da auch.

„Schau mal, am Kotti liebkosende Krähen“,

dort am Kotti kokelt lauwarme Kotze in der Nachmittagshitze, wird unter Sohlen in die Straßen getragen und mieft.

„Schau mal, am Hermi, da hängen Laternen“,

dort am Hermi hängend bloß: Häupter und es frieren die Menschen in Straßenecken auf dem Bordstein sich in den Teer.

Die Stadt ein Ort, wenn wen wer hält.

Illustration: Mu-In Lü

Illustration: Mu-In Lü