12.07.2022

den vater fand ich im garten

Juli 2022 - Paula van Well

Seit die Mutter gegangen ist, schläft der Vater in meinem Bett, die Beine zwischen die Gitterstäbe getrieben, die Arme aufwärts gen Baldachin gestülpt, den Korpus ineinander gestapelt wie ein leidig gewordenes Kolonialstil-Regal. Sieht es nicht ulkig aus, so wie er dort klemmt?

Doch weil er mir auch nach eingehender Prüfung irreversibel, ja endgültig erscheint, der interessante Zustand, in welchen der Vater durch das Abhandenkommen der Mutter gelangt ist, beginne ich wenige Tage nach dieser, sagen wir, Einsicht, meine Stofftiersammlung aus dem Bett hinaus auf den Esstisch zu räumen, sodass dem Vater im Kinderbett ein Quäntchen mehr Raum zukommt. Der Tripp Trapp ist bei dem Kletterakt unerlässlich, wie Sie wohl erahnen können, ich stelle sie allesamt, von Teddy bis Plüschhase, in einer ästhetisch ansprechenden Formation auf der Massivholzplatte aus (der Hausstand ist für etwaigen Besuch stets einladend und präsentabel zu halten, das habe ich früh erlernt). Der Vater scheint das Mehr an Platz kaum zu bemerken, er reibt bloß allabendlich den Schädel in die Matratze und durchtränkt ob des nächtlichen Geiferns die Baumwolldecken, so lerne ich das Schwimmen.

Doch gibt es etwas, ich will sagen, Ermüdendes an den Umständen, denn büxt der Vater zur Schlafenszeit gelegentlich aus. Ohne dass ich das Erbeben des Kinderbettes zu registrieren scheine, welches beim Hinausschaben seiner Gliedmaßen aus den Gitterstäben entstehen muss, entkommt er jedes Mal dem Schlafgemach. Wenn ich dann durch eine Unerheblichkeit, sagen wir die fernen Rufe eines Kauzes oder das Zetern einer nachtaktiven Fliege aus dem Schlummer erwache, so durchfährt mich jedes Mal aufs Neue eine Art gleißender Schreck, wenn kein Vater zwischen den Stäben steckt. Ich fädle mich also durch sie hindurch, der Vater-Leib hat sie inzwischen ausgeleiert und bis hin zur Passierbarkeit verformt, ein großer Vorteil für einen wie mich, und krabble durch die Stuben, durch Anwesen und -bau, dabei sind die Treppen mir das Hinderlichste beim Vorwärtskommen, durch Wintergarten und Gästehaus, und quäke nach dem Vater.

Ich finde ihn bisweilen im Kühlschrank, in der Waschmaschine, der Regentonne. Einmal steckte er im Biomüll und hätte ich ihn nicht rechtzeitig dort herausgefischt, wäre er am Morgen wohl abtransportiert worden. So treibe ich auch heute auf Knien und Handinnenflächen vorwärts durch die dunklen Flure und stoße lallende Laute aus, ich möchte meinen, dass sie mir liegen.

Den Vater finde ich im Garten, er ist ganz zerzaust, so muss er wohl Gänseblümchen zwischen den Grashalmen gesammelt und sich für den Zählvorgang in die Hecke gesteckt haben – sie liebt mich nicht, sie liebt mich nicht, sie liebt mich nicht, sie liebt mich nicht, sie liebt mich nicht, sie liebt mich nicht, oh weh, Stand: Heute.

Mein Sohn, so hilf mir doch! Die Blumen, sie sind mir der Feind, verkündet er weinerlich, als er mich erblickt und sich aus dem Gartenstrauch herabzusenken versucht – ich schiebe ihm die Pantoffel auf den Fuß und sammle ihm die zerrupften Blumen aus der Hand (für die Vasen), rühre dem Vater einen Beruhigungstee, kämme ihm die Hecke aus dem Bart und karre ihn ins Kinderbett.

Am Morgen kommt, wie angekündigt, Frau Schalenroth vorbei. Es scheint ihr irgendeine Besorgnis in den Sinn getreten zu sein, als meine Wenigkeit zum Elternabend der Krabbelgruppe letzte Woche ohne Elternteil erschien und sämtliche aufkommende Diskussionen vom bestiegenen Stuhle aus eigens zu leiten begann.

Die geladene Frau Schalenroth tritt ein, die Stofftiere brillieren in Form und in Pracht, ich biete der Dame einen Kaffee und eine Brotzeit an, ich selbst bin mit meinem Schnuller vollends bedient, doch sie verneint, wie unvorteilhaft, und setzt sich mir gegenüber auf die Récamiere. Der Vater spielt indes auf dem Teppich mit den Murmeln, ich werfe in angemessenen Abständen prüfende Blicke der Fürsorge; in oraler Phase passiert durch Murmeln nicht selten ein Ersticken.

Sehen Sie, ich bin mir der Verantwortung vollends bewusst, solche oder ähnliche Laute produziere ich in die Richtung der Frau Schalenroth,

Sehen Sie, ich bin irritiert, so erwidert diese – ich biete ihr das Du, sie schüttelt den Kopf,

Sehen Sie, die Rollen –

Am Ende unseres Gesprächs schüttelt Frau Schalenroth meine kleine Kinderhand und erhebt mich feierlich in den Elternrat, darauf nuckel ich einen Sekt, Frau Schalenroth steckt sich meinen Schnuller in den Mund und begibt sich nach einem Murmelspiel mit dem Vater ermüdet und geschlaucht in den Stubenwagen, in jenen im Raume mit dem Kamin. Daraufhin schreib ich sie erst einmal krank.

Bild: Madita Jodes

Bild: Madita Jodes