Spätschicht

Etwas mühsam fingert sie eine Zigarette aus der rot-weißen Marlboro-Schachtel. Am Ansatz des Nagelbetts haben sich schon Furchen gebildet. Sie zeichnen beinahe eine Symmetrie zu den weißen Tips der French-Nails, die sich unaufhaltsam über ihre Fingerkuppen schieben. Ungelenk lässt sie das rosa Feuer klicken. Dann dreht Jacky sich zur Theke und schenkt den Männern ein schmales Lächeln. Der Spielsüchtige und der Alkoholiker sind von ihrer Uber-Schicht zurück. So nennen die beiden Freunde sich heimlich.

Der Spielsüchtige ist vielleicht 24, jugendliches Gesicht, warme Augen. Er bestellt eine Cola. Sein Kumpel schlägt ihm mit der kräftigen Hand auf die Schulter und verlangt eine Kugel. Die beiden kommen erst nach Mitternacht in die Kneipe, flirten mit den Spanierinnen aus dem Apartmenthaus oder rauchen vor dem Automaten. Meist haben sie etwas zu erzählen. Manchmal spielen sie mit den anderen Gästen Darts.

Jacky legt die angerauchte Zigarette in den Aschenbecher und streicht sich eine dunkle Strähne aus der Stirn. Sie nimmt ein gewaschenes Glas vom Handtuch, hält es im 45 Gradwinkel unter den Zapfhahn und drückt den Hebel mit gespreizten Fingern nach unten. Ganz so als wollte sie unnötigen Kontakt mit dem speckigen Griff vermeiden.

-          Ich mach jetzt in Krypto. Kein Bock mehr auf Uber-Fahren. Ihr werdet schon sehen.

Sagt der Spielsüchtige in den Raum. Die alten Menners am Tresen lachen rauchig und tief. Jacky hält das Glas jetzt gerade. Auf der trüben Flüssigkeit thront eine weiße Schaumblume. Sie stellt die Schulle wuchtig auf den Tresen und wendet sich wieder ab.

Oft kommt ein dritter Freund vorbei, ein massiver Typ mit Glatze und eng spannendem T-Shirt. Die drei Männer gehen dann häufig auf die siffige Toilette mit dem gefluteten Boden und quetschen sich in die enge Klokabine mit den Hertha-Stickern. Auch der Spielsüchtige macht dann eine Ausnahme und beugt sich über das rissige Handy. Sonst lässt er die Finger von sowas. Innerlich verachtet er den Alkoholiker für jedes Bier und jede billige Whisky-Cola-Mischung, die er sich bei der leeräugigen Jacky bestellt. Einmal hat er sich sogar vertraulich über den Tresen gebeugt und gemurmelt:

-          Der trinkt zu viel.  

Mit weit geöffneten Augen erzählt der Spielsüchtige jetzt von seinem Vorhaben:

-          Bald hat das Uber-Fahren ein Ende!

Einer hat ihm von diesem Geld aus dem Internet erzählt. Warum draußen Uber-Fahren, wenn die Welt doch so einfach ist? Er wirft einen Blick in Richtung der schwarzhaarigen Frau, die mit ihren Freundinnen am Billardtisch tuschelt. Das rote Top verdeckt ihr weißes Schlüsselbein mit dem Rosen-Tattoo kaum. Sie lächelt. Der massige Glatzkopf winkt verheißungsvoll vor seinem Gesicht herum, Toilettenpause, Automatenblinken, Cola. Bald ruft die nächste Fahrerschicht.

Als die drei Männer die Kneipe verlassen wartet der Alkoholiker noch einen Moment. Er leert sein Glas und sagt in den Raum:

-          Der zockt doch zu viel am Automaten.