Schärfe ist sein Metier

Schärfe ist sein Metier. Oft erzählt Uwe, vor lauter Schärfe wäre er resistent gegen Pfefferspray. Am ersten Mai könnte er problemlos durch Kreuzberg laufen. Überprüft hat er es noch nie, meist steht Uwe in seiner Currywurstbude – direkt an der Tramstation. Sie ist rot und klein mit drei Stehtischen und einer Bierbank. Jetzt runzelt er nochmal die Stirn und beugt sich über die Theke. Sein T-Shirt ist schwarz und fettig. Es richte nach Fritteuse und Wurst. Uwe wiederholt:

-          Ich bin mir sicher, dass du nicht die 10 willst.

Er schaut dem jungen Typen direkt in die Augen. Der sieht aus wie ein Student, vielleicht ein Kunststudent. Der Student lächelt und deutet nochmal auf das Fläschchen in der Scheibe. Es ist das Äußerste einer Reihe von gleichförmigen, kleinen Fläschchen mit bunten Etiketten im Stil der Bude. Sie sind der Schärfe nach sortiert. Wer alle einmal durchprobiert hat, bekommt einen kleinen Schärfepass ausgehändigt. Die Prozedur folgt strikten Regeln.

Uwe schüttelt erst den Kopf und dann die Schüssel mit den frischen Pommes. Der Student wartet geduldig. Er beobachtet, wie Uwe langsam zu dem ausgewählten Fläschchen greift und den Deckel abschraubt. Mit einer routinierten Bewegung schüttet er einige Tropfen auf die Currywurst. Im dicken Rot zerläuft die scharfe Flüssigkeit. Sie bilden kleine Mulden.

Eine Tram fährt ein. Kinder laufen aus den geöffneten Türen, eine Frau hievt ihre Tasche auf den Weg. Der Student hält nun das Pappschälchen in der einen Hand. Zwischen den Fingern der anderen klemmt ein kleiner Holzspieker. Er nimmt den ersten Bissen. Tunkt das Wurststück nochmal extra in einen Saucenkrater. Uwe räumt Schultheis-Flaschen in den kleinen Kühlschrank neben der schäumenden Fritteuse.

Das Gesicht des Studenten wird ungesund bleich. Eine Schweißperle läuft über seine weiße Stirn. Das Pappschälchen mit den Pommes und der Currywurst mit Darm liegt unberührt auf einem der Stehtische. Als die Tram Richtung Osloer Straße rauscht, kotzt der Student auf den Boden neben der bunten Bude. Solche Kunden sind Uwe die Liebsten.