03.07.2020
kleiner edeka
Juli 2020
es gibt die verkäuferin mit den kurzen grauen haaren und ein paar barthaaren, die einzige, die sich nicht schminkt. sie ist schon am längsten da. mindestens fünf jahre. es gibt die mit der lila haarfarbe in einem braunhaarigen kopf, die einen lieben, traurigen blick hat. es gibt die, die sich schwer bücken kann und groß ist und die älteste. und es gibt die mit abstand jüngste, die an der kasse auf türkisch mit den bekannten schäkert und mich eine sprache vermissen lässt, die ich nie konnte, einfach, weil ich sie so gern verstehen würde. es gibt wechselnde arbeitende dort an der kasse, aber sie bleiben nicht im gedächtnis, man erkennt sich nicht still. man wünscht sich manchmal einen schönen tag, aber nicht mit den augen.
selten gibt es männer. ein matriarchalischer supermarkt, ja, doch, vielleicht. wenn sie dort arbeiten, dann meistens nicht lange, sie sehen eingeschüchtert aus. einmal habe ich aus versehen besoffen fast klopapier geklaut bei einem und er hat in leiser stimme gebeten, es doch zu bezahlen, das war, als klopapier gerade ganz knappe ware war.
in diesem supermarkt kenne ich das sortiment, ich kenne die eissorten, die ich bei kummer kaufe und vergesse, bis ich das eisfach ausmiste. ich weiß, dass es abends meistens keine auberginen mehr gibt. bis der große edeka um die ecke einzog, war es noch schlimmer, da gab es nur noch das wirklich ganz unbeliebte gemüse und nie mehr die chips und den weißwein, den man scheinbar gerne trinkt in dieser stadt. der arme kleine edeka, dachten alle, als der große edeka am maybachufer einzug hielt. im kleinen edeka waren sie ganz froh. vorher war der nächste am hermannplatz oder am kotti und jetzt gibt es manchmal sogar noch ein, zwei auberginen für mich.
die frau mit dem bart empfiehlt mir gern blumen, sie ist meine liebste. ich würde gern wissen, wie sie heißt. sie ist immer dabei, wenn noch an der ecke an den cafétischen vom café, das bereits um achtzehn uhr schließt, ein paar zigaretten geraucht werden. an der bushaltestelle gegenüber habe ich sie in den 194erbus steigen sehen und mir ausgemalt, wo sie hinfährt. ob sie enkel hat oder kinder. was abends im fernsehen kommt. wie viel länger sie schon bei ihrem edeka ist, als ich dort einkaufen geh. ob sie erkennt, wenn jemand mit liebeskummer einkauft oder jemand ganz furchtbar einsames. ob es ihr egal ist.
die älteste, große verkäuferin schiebt aus versehen einen voll beladenen stapler gegen das kleine regal am ende der reihe mit den nudeln und den biosachen, in dem so sachen wie thermosbecher und plastiktrichter stehen. alles fällt auseinander. auf ihrem pulli steht BITTE ZWEI METER ABSTAND – RESPEKT und ich würde ihr so gerne helfen aber ich weiß nicht wie und stehe nur inmitten der thermosbecher und hebe einen auf und stelle ihn ins regal wie das letzte arschloch und starre sie an, in meinen kopfhörern kommt hope there’s someone von antony and the johnsons: hope there’s someone // to take care of you // when i die und ich muss heulen unter der brille und über der maske vor den bioeiern. wie furchtbar und einsam die welt ist, und wie wenig man machen kann, um das auch nur irgendwie ändern zu dürfen, man darf nichtmal einen thermosbecher aufheben, oder man will nicht, weil man ein dummchen ist und dann einfach heult und sich bedauert. die alte frau muss sich nun nach allem bücken. jemand verdreht genervt die augen, einer der männer. er wird sicher bald gehen müssen. die mit der lila strähne eilt zur hilfe und schickt den mann an die kasse. ich trotte ihm heulend hinterher, während die beiden aufräumen.
die frau mit der lila strähne ist nie dabei, wenn alle noch feierabend machen. sie hat eine dunkle stimme und schöne braune augen. sie erkennt mich nicht, nicht so wie die jüngste, die das schöne türkisch spricht und die frau mit dem bart, die mir blumen empfiehlt. ich glaube, sie erkennt niemanden, sie wirkt verträumt und als würde sie ihren job hassen, aber sehr gut machen. ich frag mich, ob sie gern wandern geht, ob sie es mag, wenn es unter ihren füßen knackt. ich schäme mich für die urlaube in der schweiz. kaufe schweizer schokolade aus sehnsucht, rede mir ein, sie wär für meine liebe, am ende isst sie niemand, ich denke immer, ich mag schokolade, bis ich sie esse. dann ist sie mir zu süß und ich bekomme lust auf salat. der ist aber leider ausverkauft im geliebten kleinen edeka.