15.10.2019

Es ist nicht meins

Oktober 2019

 

Es ist zu warm und zu kalt für den Herbst. Wir laufen mit Winterjacken durch die Stadt und schwitzen, wir laufen im T-Shirt durch die Straßen und frieren. Blätter auf den Gehwegen sind zu matschig zum Aufkehren. Ich rutsche aus, wenn ich schnell die Richtung wechseln will und merke, dass ich allein im T-Shirt bin. Alle anderen haben ihre Winterjacken wieder angezogen und schlottern. Niemand schaut mich an, aber auf eine andere Art als gewöhnlich; als ob sie warten, dass mir etwas passiert. Ich gehe ein bisschen langsamer und ein wenig näher an den Hauseingängen und Einfahrten vorbei. Sie sehen ungewohnt aus. Die Menschen auch. Als ob ich sie kennen sollte, mich aber partout nicht an den Zusammenhang erinnern kann. Oder wie Leute, die sich einer Schönheitsoperation unterzogen haben und ich versuche, aus den letzten vertrauten Resten Einheiten herzustellen.

Kein Hund bellt, obwohl ich fast durch die Hecken gehe, so nahe komme ich den Grundstücken. Ich habe vergessen, warum ich aufgebrochen bin. Die Sonne scheint, Fahrräder sind an den Verkehrsschildern festgefroren. Sie jaulen leise, wenn man sie berührt. Ich will jemanden nach dem Weg fragen, aber niemand stellt Blickkontakt her. Sowieso spreche ich nicht gerne Fremde an; oder ich glaube, dass es früher so war. Inzwischen weiß ich auch nicht mehr, von wo ich aufgebrochen bin, ich kann also nicht zurück. Nach langem Überlegen halte ich einen Passanten an und frage nach dem Weg zur nächsten Bushaltestelle. Er zögert kurz, bleibt dann doch stehen und sagt mir, dass ich bereits an einer stehe. Als ich mich umdrehe, steht neben mir auf einmal ein Wartehäuschen; der Mann nutzt den Moment der Unaufmerksamkeit und hastet davon. Ich hole mein Handy aus der Tasche, um nach dem Weg zu schauen oder nach irgendeiner Person, die ich anrufen kann. Meine Kontaktliste ist, als ich sie aufmache, leer. Das Handy ist auf Werkseinstellungen und beginnt sofort mit einem Update. Ratlos lasse ich einen Bus vorbeifahren, dann einen zweiten, und beginne schließlich zu laufen. In die entgegengesetzte Richtung, auf die nachfolgenden Busse zu. Es ist kühler geworden, beim Gehen beißt mir die Kälte ins Rückgrat. Meine Muskeln schmerzen, ohne, dass ich den Grund weiß; ich habe nie in meinem Leben Sport gemacht. Ich taste nach der Winterjacke über meinem Arm. Sie ist weg.