15.08.2018

Eckkneipe

August 2018

Am Samstagabend saßen wir in einer von sehr wenigen Eckkneipen im Graefekiez und wurden von zwei älteren Männern, die sich da jede Woche seit über 20 Jahre treffen, angequatscht.

Ich erzähle E gerade von meinen unfassbaren Boule-Spiel Skills, an die ich anfangs selbst nur halb glaube, und merke dabei, dass unsere Tischgenossen was von uns wollen. Vielleicht brauchen sie Tipps. Ich will aber zu Ende erzählen. Es mag sein, dass ich erst einmal gespielt habe, aber an Beginners Luck glaube ich nicht, an Gewinnen lassen auch nicht. Nach und nach beeindrucke ich mich selbst dermaßen, dass ich ernsthaft überlege, ob ich die ältere Boule Spielerin, die an der Bar sitzt und mich beim Bestellen entertained hat, zu einem Duell fordere.

Ich schnappe nach Luft und bin wenig überrascht, als der eine Mann an unserem Tisch so tut, als ob er nicht wüsste ob E’s Tabak ihm gehört oder nicht. Dabei raucht er eine komplett andere Sorte. Sein Tabak liegt direkt vor ihm.

“Sag mal...” sagt er, nachdem wir an dem das Spielchen mit dem Tabak vorbei sind und wir uns alle vorgestellt haben. Er wird leiser, lehnt sich näher herüber. Jetzt wird er fragen, wie es damals dazu kam, dass ich gegen einen 90 Jährigen, der schon mindestens 70 Jahre lang spielt, gewonnen habe. “Sag mal, ihr seid sozusagen Freundinnen?”

Wir gucken uns an, ich lache. “Ein Paar” sagt E.

“Und sag mal,” sagt der andere, “mit dem Altersunterschied… Ihr müsst die Stadt ja ganz anders erleben.”

Ich bin irritiert, immer noch halb beim Boule, und außerdem habe ich das Gefühl er will damit sagen, dass Berlin für Leute in meinem Alter nichts mehr als Partystadt wäre, dass ich nur flüchtig hier bin um Drogen und Sex zu tanken bevor ich weiterziehe. “Wie meinst du?”

“Na ja, mit Musik und so.” Er ist Musiker, erklärt er. Hat Musik so viel mit dem Alter zu tun? Ich bin mit Blondie und Talking Heads und Frank Zappa aufgewachsen. Auch Destiny’s Child und Blue und Maroon Five. Ich tanze gerne. Wir tanzen beide gerne. Ich werde auch mit 80 das Tanzen noch lieben, E bestimmt auch.

“Wir gehen mal zusammen ins Berghain,” meint der Musiker. “Ich tanze auch so gerne und es kommt nie irgendjemand mit. Die denken alle, sie seien zu alt.” Ich finde die Vorstellung wie wir zusammen losziehen - schwarz bekleidet mit Bauchtasche und gespielte Langweile - verlockend und unwahrscheinlich.

“Ich war mal in eine Charlotte verliebt,” fängt er nachdenklich an. “Sie war verheiratet. Ihr Mann war eifersüchtig auf mich, ich war eifersüchtig auf ihn. Wir waren sehr eng. Charlotte kam aus Schottland und hat auch Musik gemacht, auch gerne getanzt. Sie kamen mal beide zusammen zu Besuch zu mir nach Charlottenburg. Charlottenburg!” Er prustet. “Wir sind feiern gegangen und Charlotte wollte unbedingt tanzen, er aber nicht. Er hat sich nicht gerne bewegt, fand das Tanzen peinlich und das Schwitzen unpraktisch. Er war älter als sie, deswegen habe ich gefragt. Er mochte nur Klassik und dazu kann man nicht so gut tanzen. Jedenfalls haben Charlotte und ich also getanzt. Ganz nah. Der Mann hat zugeschaut. Es war der schönste Moment meiner Dreißigerjahre. Das war es dann aber auch. Charlotte kam nie wieder, hat nur noch eine letzte Weihnachtskarte geschickt.”

“Richte mal schöne Grüße an deinem Vater aus,” meint der andere Mann, hängen geblieben. Er kennt meinen Vater nicht. “Sag ihm, wir sehen uns auf dem Frank Zappa Festival nächstes Jahr.”

“Klar,” sage ich, und tue es nicht.

Der Musiker gibt mir seine Nummer und meint, er bringe mir das Klavierspielen bei, steht auf und verschwindet.

Der andere redet immer noch leise und intensiv über unseren Tisch gelehnt. Er ist extrem interessiert. Lesben sind einfach interessant. Und wir sind gut mit jemandem befreundet, die lange für Udo Lindenberg fotografiert hat.

“Wer wäre für euch so zu sagen ein Traumprinz? Von welchen Typen hattet ihr Posters als Teenies an der Wand hängen?”

Wir gucken einander wieder an.

“Ähm…”

 E sagt, “Ich glaube du hast da was falsch verstanden.”