01.08.2019

[die hektik in der luft ist handgemacht]

August 2019

 

Berlin, Rathaus Steglitz. Eine Gruppe hat es nicht bei grün über beide Ampeln geschafft und hängt jetzt auf der Verkehrsinsel fest. Die Jüngeren warten auf eine Lücke, die Älteren halten ihren Blick fest auf das rote Licht gerichtet. Erst, wenn die Farbe wechselt, werden sie gehen. Ein paar Minuten sind schon rum. Ein älterer Fußgänger hat einen Hund dabei, der vorbeifahrende Autos anmeldet. Nur die roten. Er bellt zum zehnten Mal. Fünfzehn. Eine Studentin schaut auf ihr Handy, sie wartet hier seit vier Minuten. So lang können die Ampelphasen doch auch nicht sein. Die Autoampel wird rot, alle schauen angestrengt auf das Licht. Die Autoampel wird wieder grün und jemand schreit vor Empörung. Der Hund schlackert mit den Ohren, springt aufgeregt hin und her. Die Autos fahren wieder an. Eine ältere Frau versucht, zu beschwichtigen; eine Grünphase kann ja mal ausfallen. Jemand ruft, dass er einen Bürgeramtstermin hat in einer Minute. Andere feuern für ihn die Ampel an. Sie sagen, an uns bricht man sich die Zacken aus.

Die Ampel der Autofahrer ist grün seit fünf Minuten. Zehn. Einige bremsen leicht an, wenn sie näherfahren; sie können ihr Glück gar nicht fassen. Andere winken beim Durchbrettern den Gestrandeten zu. Sie sitzen seit zwanzig Minuten fest. Im Schloss haben sich währenddessen die Geschäfte zusammengetan. Aus dem ersten Stock wirft jemand den Leuten auf der Insel ein paar Kekspackungen zu. Der Mann mit dem Termin fragt aufgeregt, was das soll. Muss man sich auf eine längere Wartezeit einstellen? Aus dem Schloss kommt keine Antwort, stattdessen trifft ihn ein Karton am Kopf. Er sinkt zu Boden, jemand bringt ihn in die stabile Seitenlage. Die Autos halten an für rot, fahren bei grün wieder los. Einer öffnet die Tür und bietet an, zwei Anhalter mitzunehmen. Eine Gruppe Geschäftsleute prügelt sich um die Plätze. Zwei von ihnen schaffen es mit blutigen Nasen ins Innere, einer hat aus Versehen den Hund unterm Arm. Das Auto fährt wieder weiter. Kein anderes hält an. Die Wartenden stehen starr. Noch scheuen sie die Verkehrsordnung. Die Studentin wartet auf eine Lücke und stürmt los. Das nächste Auto nimmt sie sofort auf die Motorhaube. Zum Glück fährt es nur langsam, sie holt sich ein paar blaue Flecken. Sie flüchtet nicht zum Straßenrand, sondern zurück auf die Insel. Dort reiht sie sich wieder unter die Wartenden ein, die vor ihr zurückweichen, ohne es zu wollen. Während draußen die Autos vorbeirauschen, kehrt Ruhe ein. Eine angespannte Stille, die auf den nächsten Sprung wartet. Der ältere Mann reißt eine Kekspackung auf und nimmt sich einige heraus. Einen will er dem Hund reichen, dann fällt ihm ein, dass der weg ist. Er bricht schluchzend zusammen. Ein paar andere trösten ihn. Aus einem Fenster im Obergeschoss meldet sich ein Mitarbeiter eines Geschäfts, das Handy am Ohr. Er gestikuliert, dass er die Polizei anruft. Das vermuten sie zumindest. Aber warum? Die Stille spannt sich immer mehr an. In diesem Moment legt ein Auto eine Vollbremsung hin und kommt halb auf dem Überweg zum Stehen – die Autoampel hat auf rot umgeschaltet. Als wäre das ein Zeichen, schauen alle angestrengt zur Fußgängerampel. Zehn Sekunden passiert nichts, dann springt sie auf grün um. Die Wartenden können ihr Glück kaum fassen. Sie liegen sich jubelnd in den Armen, dann kommen sie wieder zu Verstand. Sie rennen die zwei Meter zum rettenden Ufer. Es ist eine Dreiviertelstunde her, dass sie gemeinsam gestrandet sind, und ein paar tauschen Nummern aus, um in Kontakt zu bleiben. Der Mann mit dem Bürgeramtstermin hat das Bewusstsein wiedererlangt und stürzt die Treppen hoch, um seine Situation zu erklären. Der Rest verstreut sich und geht seinen Geschäften nach. An der Kreuzung fangen einige Autofahrer an zu hupen. Sie warten seit fünf Minuten auf grün. Die Ampel wechselt nicht.