26.02.2020

Auf einer Party

Februar 2020

Das Licht ist lila wie in einer Shishabar auf der Gneisenaustraße, in der wir einmal Tequila getrunken haben, ohne ihn zu bezahlen. Ich habe den Geruch in der Nase, als wäre ich gestern zum letzten Mal in dieser Shishabar gewesen. Sie ist seit Jahren geschlossen und noch länger rauche ich keine Wasserpfeifen mehr, die nach Tic Tac Orange schmecken. Als wir das gemacht haben, habe ich noch in der Fontanepromenade in einem Einzelbett, MALM, Ikea, geschlafen, der letzte Geschmack von Kindheit mischte sich in die Wasserpfeifen, ohne dass ich es wusste, ohne dass ich ahnen konnte, dass es der von Kindheit war und nicht der des Erwachsenwerdens.

Das Licht ist also lila. Wir sind vor fünf Minuten angekommen und ich weiß schon nicht mehr, wo Emil ist, es ist verraucht und seltsam leer dafür, dass mir das Ganze als Party verkauft wurde. Jemand umarmt mich. Der Wegwein brennt ein Loch in meinen Magen. Im Flur steht ein Tisch mit ein paar Packungen Chips drauf, ich greife mir eine und in dem Moment, in dem ich sie aufmachen will, fällt mir ein, dass ich meinen Mantel noch anhabe. Emil ist schon weg und ich ziehe meinen Mantel aus, während ich den Sohn des Gastgebers umarme. Der Sohn des Gastgebers ist auch meine erste Liebe. War meine erste Liebe?

Jetzt ist er aber für mich hauptsächlich der Sohn des Gastgebers, der nämlich wieder bei seinen Kindern eingezogen ist und nun bei ihnen Partys veranstaltet. Der Sohn des Gastgebers umarmt mich also und riecht nach sich und ein bisschen nach Schweiß, was ein unangenehmes Schamgefühl auslöst, als hätte ich an meiner eigenen Achsel gerochen und festgestellt, dass ich morgens vergessen habe, Deo zu benutzen. Im lilafarbenen Licht verliere ich fast meine Begleitung, meine Mitbewohnerin, die mitbekommen hat, dass es auch anderes Essen gibt, nicht nur Lidl-Chips.


Ich finde Julia in einem Seitenzimmer, in dem ein schmales Bett steht, ein langer Tisch voller Essen und zwei hohe Bartische, wie sie sonst bei Sekt- und Brezel-Empfängen zu finden sind. Die Bartische irritieren mich nicht, sie passen seltsam gut in den Raum, auf ihnen steht Pizza. An der Wand hängt eine Leinwand, die aussieht wie aus dem Schaufenster eines Fotostudios geklaut, es ist ein Druck von einem Porträt eines Mops, der einen Königsumhang und eine Krone trägt. Das Bild ist so geschmacklos wie der Gastgeber, der reinkommt und uns begrüßt. Er stellt sich mir vor, dann bemerkt er, dass wir uns kennen und findet es schön, dass wir da sind. Julia schiebt sich kalte Pizza in den Mund und ein Stück Käse. Ich schiele nochmal auf den langen Tisch mit dem ganzen Essen. Irgendwie ist niemand auf dieser seltsamen Party, niemand isst dieses Essen, und das beklemmt mich so sehr, dass mir der betrunkene Appetit vergeht.

Die Schwester des Sohns des Gastgebers erzählt mir, dass meine Mutter ihr immer Sachen bei Ernsting‘s Family gekauft hat. Meine Mutter hat in ihrem Leben noch keinen Ernsting‘s Family betreten, allein die Vorstellung bringt mich zum Lachen. Ich erinnere die Schwester daran, dass es sich vermutlich um die Mutter einer anderen Ex-Freundin handelt, mit der ich die erste Liebe teile. Das ist ihr unangenehmer als mir. Julia ist gefangen in einer Unterhaltung mit dem Gastgeber und einem Typen, der aussieht wie R. Kelly vor einer Grundschule, wenn er sie anguckt. Ich trinke einen Schluck schales Bier, frage mich, wo meine Freunde sind, und gehe in die Küche. Ich schaue mich um und merke, dass ich mit niemandem der anwesenden Menschen, die ich als meine Freunde bezeichne, überhaupt befreundet sein will und allgemein alles um mich herum ekelerregend finde. Der Bruder des Sohnes des Gastgebers boxt ein Loch in die Glasscheiben in der Küchentür. Meine Augen brennen vom Rauch und hier ist das Licht zwar nicht lila, aber zu hell. Es ist ein klassischer Berliner Altbau, warme Holzböden und verwinkelte Räume, was die Situation aus irgendeinem Grund noch trauriger macht. Niemand anderes ist traurig. Emil taucht wieder auf, seine Augen sind stumpf vom Koks und sein blonder Kumpel fragt mich, ob ich finde, dass die Junge Union eine Existenzberechtigung hat. Emil, groß und bullig, wuschelt mir durch die Haare.

Der Gastgeber zieht, als sei es das natürlichste der Welt, einen Hackbraten aus dem Ofen. Sein Sohn sagt, als wäre es das natürlichste der Welt, wie gut der Hackbraten riecht. Ich bedauere ihn sehr, vor allem, weil er nichts an der Situation bedauernswert findet.
Ich fühle mich endlos verloren an diesem Ort, nach nichts mehr sehne ich mich als nach Unterhaltungen über Philosophie, über Autorität und Faschismus und weichen Küssen. So bodenlos traurig bin ich nie, wenn ich alleine bin. Die größten und einsamsten Löcher reißen Menschen, unter denen ich mich wohl fühlen sollte. Ein Typ, mit dem ich mal aus Versehen aus Liebeskummer rumgemacht habe, versucht, mich zum Tanzen in das lila Zimmer zu ziehen. Ich ramme die Füße in den Boden und sage nein. Der Hackbraten riecht echt ganz gut.

Ich beschwere mich bei einem anderen mit dem ich auch mal was hatte, etwas weniger aus Versehen, aber auch nicht so ganz mit Absicht, dass ich es hier seltsam finde. Er versteht das nicht. Generationsübergreifende Partys findet er sehr gut. Klar, dass der Gastgeber auch Ollen von Tinder eingeladen hatte, war ein bisschen komisch, aber die sind ja jetzt weg. Ich sage, dass ich koksen scheiße finde, und gehe aufs Klo, um alte Chatverläufe zu lesen. Ich überlege kurz, dich anzurufen, einfach um dir zu erzählen, dass ich grad auf dem Klo sitze, während alle denken, ich hätte Verdauungsprobleme, und mir alte Fotos angucke, davon, wie du nackt in meinem Bett liegst. Ich grinse mich ein bisschen panisch im Spiegel an und bestelle mir und Julia ein Taxi. Dann gehe ich in das Zimmer des Sohns des Gastgebers und schnüffle ein bisschen rum, ob ich was Interessantes finde. Er hat eine neue Freundin, die aussieht wie ihr Windhund, aber nichts in seinem Zimmer ist interessant.
Ich träume von lila Licht und davon, dass der Hackbraten aus meinem Exfreund gemacht wurde. Morgens essen wir Croissants und sagen ganz oft, wie seltsam alles war.

Ich versuche, die Seltsamkeit mit einem sozialen Habitus zu erklären, den wir eben nicht verstehen, merke aber, dass das nicht geht, denn es gibt keinen. Dieses seltsam bourgeoise Umfeld vermischt mit Trash, Jurastudenten mit ekelerregenden Drogen, Hackbraten mit lila Licht und Familienfotos an den Wänden mit Hass. Zumindest letzteres ist vielleicht auch eine Universalie.