12.03.2025
Cruelty & Devotion / Grausamkeit und Fürsorge (Teil 3)
März 2025
–Do you want to come for a swim at Krumme Lanke with me?
–No, it´s snowing.
–But you might love the feeling.
–What feeling? The feeling of dying?
–Something like that.
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Am Tag meiner Antrittslesung für meinen ersten bezahlten Schreibjob, zwei Stunden bevor wir die Bahn zur Friedrichstraße nehmen wollen, kommt Ezekiel wieder. Er hat Jetlag, seit zwei Tagen nicht geschlafen. Ich bin sehr froh, dass er es rechtzeitig zurückgeschafft hat und bei mir ist, wenn ich zum ersten Mal aus Cruelty & Devotion vorlese.
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Ezekiel wartet bis zum nächsten Tag, um mich zuerst persönlich zu fragen. Ich sage direkt nein, sage ihm auch, dass er mich das nicht noch einmal zu fragen braucht. Ein paar Tage später fragt er mich noch einmal per Nachricht.
Er schreibt, dass er mir schreibt in an attempt to inspire an attentive, caring and open consideration. Er möchte, dass ich in Erwägung ziehe, dass sie mit uns für ein paar Monate in unserer Wohnung wohnt. In seiner Nachricht nennt er auch verschiedene Gründe, die mich überzeugen sollen, unter anderem: 3. I can imagine you will make good friends. I think my judgment can be well trusted on this point as I have introduced you to 2 of your best friends: Clara and T. Als ich Clara davon erzähle, sagt sie: This sounds bad, und T. sagt auch: Eine furchtbare Idee. Ezekiel schreibt weiter: I know most people would say such a situation is too unusual and would advise you to reject the idea. There are others, however, who may advise you to consider the possibility warmly - think, for example, of one of our shared favorite artists, Leonor Fini. Im Internet finde ich eine viel zitierte Aussage Leonor Finis, die sie im Jahr 1982 traf: Marriage never appealed to me, I've never lived with one person. Since I was 18, I've always preferred to live in a sort of community – a big house with my atelier and cats and friends, one with a man who was rather a lover and another who was rather a friend. And it has always worked. Von einem ihrer Angestellten finde ich allerdings einen eher abweichenden Eindruck bezüglich ihres offenen Haushalts: A little bit of prison and a lot of theatre.
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Ein großes Wagnis ist alles, was ich dazu denken kann. Es gibt mehr Gründe, die dagegensprechen, als ich Gründe dafür finden kann. Aber ich frage mich auch: Würde für sie nicht viel mehr auf dem Spiel stehen? Ihre Eifersucht müsste in dem Moment, falls sie aufkommen würde, eine ganz andere sein als meine, die sich nur noch an die Vergangenheit richten könnte, ein Zurückblicken, nur noch die Erinnerung eines gebrochenen Herzens im schlimmsten Fall oder im besten Fall eine Weichzeichnung des Herzens, die uns erklärt, warum uns die Gespräche nicht ausgehen. Eine Art Schwur, dass sie uns vielleicht nie ausgehen werden. Ihre Eifersucht beträfe die Gegenwart und die Möglichkeit einer gemeinsamen Zukunft mit dir, all die Ängste und Unsicherheiten und dazu noch die Ferne, die zwischen euch liegt, dem Umstand geschuldet, dass ihr gewöhnlich auf weitentfernten Kontinenten lebt. Und die zwischen uns weiterhin ausbleibende Ferne. Die Ferne macht alles kompliziert, das weiß ich aus meiner Erfahrung mit Jibé, der momentan der einzige ist, der mich im Heute und Morgen eifersüchtig machen kann. Die Ferne macht auch die anschließende Nähe kompliziert, kann sie noch unerträglicher machen, als sie ohnehin schon viel zu oft ist. Meine Sorge wäre, dass sich die Zeiten überlappen, ich mich verzähle und der Schmerz doch über die Vergangenheit reichen könnte, wir einander heute doch noch mehr anzutun haben. Wir kennen die Klänge unserer Körper, die Schritte, mit denen wir aufeinander zugehen, die, mit denen wir voneinander abschweifen, auch die, mit denen wir um uns selbst kreisen; wir kennen einander müde, meistens kennen wir einander wach. Das heißt: Ich weiß wozu du fähig bist und du weißt, wozu ich fähig bin. Meine Sorge wäre, dass dieser Satz noch nicht stimmt.
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A dog devouring the stomach of a goose, a drunken vomiting woman, a slobbering accountant, a jar of mustard represent the confusion that serves as the vehicle of love.
George Bataille: Solar Anus.
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Bin ich neugierig, wie sie ihre Fingernägel schneidet? Mit der Nagelschere rund oder mit dem Nagelklipper kantig, ob sie mit ihren Nägeln nachsichtig ist? Ob sie ihre Nägel auch mal länger werden lässt oder nach ein paar Tagen gleich wieder zurechtschneidet, vielleicht feilt sie ihre Nägel mit der Nagelfeile? Ob sie das über dem Waschbecken tut, wie ich, oder überall in der Wohnung, wo es ihr eben gerade in den Sinn fällt? Vielleicht hat sie sehr kurze Finger. Wie sehen ihre Zehen aus? Alle wie viele Tage wäscht sie sich die Haare, wird sie morgens gerne wach? Das muss ich von mir aus so genau nicht wissen. Warum sollte sie das auch so genau über mich wissen?
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If art is a seismographic project, when that project meets with failure, failure must become a subject too.
Chris Kraus: I love Dick.
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Ich hänge meine Kleidung über einen Ast, nackt steige ich in die frostkalte Krumme Lanke.
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