16.12.2020

Beobachtungen

Dezember 2020

Interpretation zuzulassen, ist eine Ausrede dafür, dass man selbst nicht weiß, was man meinte, als man etwas geschrieben hat. Interpretation selbst ist die Ausrede, nicht zu verstehen. Es gibt Codes und es gibt keine und alles wird erst interessant, wenn man es hinterfragt. Aber auch langweilig.

Am Landwehrkanal spielt im Regen einer Boule mit Steinen, die er sich zusammengesammelt hat. Er hat zerrissene Hosen und keine Schuhe an. Er wirkt zufrieden. Darf man auch ein zufriedenes Leben beweinen?

In der Hasenheide läuft man zwischen den Stühlen der Händler, sie sind einzeln verteilt im Gebüsch, es ist anstrengend, den ganzen Tag zu stehen.

Ich weiß nicht, was trauriger ist: die Luft, die ich einatme oder die, die ich ausatme. Jedenfalls schlucke ich sie, schlucke ich traurige Luft, wie leise Tastenanschläge schlucke ich, was sich in mir zusammenrollt und meinen Speichel austrocknet.

Jetzt ist der Punkt gekommen, an dem es gar nicht mehr in die eigene Vorstellungskraft passt, dass man einmal seine nackten! Beine! an die Straßenluft gehalten hat, dass man mit ihnen zum Späti ging, mit ihnen im Auto bis nach Italien gefahren ist. Dass wir im Badeanzug Reisbällchen, salzigen Kuchen, Spinatomlett im einzigen Dorfgeschäft kaufen konnten, und frittierte Auberginen, und mit dem klebrigen Meerwasser auf unseren Fingern nachsalzen. Wir saßen auf einer Treppe aus einem kühlen Stein und kurz war wirklich alles gut. Der Wind roch nach Zitrus und Feige. Alles war sauber und richtig.

Bei IKEA Tempelhof, sagst du, bekommst du existentielle Angst, zu sein, wie alle anderen. Ich freue mich so darüber, zu sein wie alle anderen, dass ich kurz überlege, einen Streit vom Zaun zu brechen, nur um noch mehr zu sein, wie alle anderen. Mir fällt nichts ein, worüber wir uns streiten könnten. Also kaufen wir ein paar Lampenschirme aus Glas und lassen sie nicht fallen und treten abends in die LPG ein.

Am U-Bahnhof Berliner Straße fällt mir immer auf, wie groß die Stadt ist. Ich vergesse immer, dass es die Berliner Straße gibt, die Grunewaldstraße, eine Grenze zwischen Wilmersdorf und Schöneberg. Nur wenn ich da stehe, denke ich, richtig, hier sind Straßenzüge und Bäckereien und Grundschulen. Wie viele Menschen in dieser Stadt wohnen, richtig, hier sind ja viele Menschen.

Im Winter werde ich schlafgeizig. Jede Sekunde, die mir jemand raubt, macht mich rasend.

Alle reden immer von emotionaler Intelligenz. Was ist mit poetischer Intelligenz? Bedingt eine die andere?