#Gratwanderung - Zwischen (un)sichtbaren Grenzen

Gruppenausstellung im KUNSTRAUM digital ab 21.05.2021

 

Grenzen sind omnipräsent – sie trennen und schaffen unabhängig davon, wie durchlässig sie sind, ein Diesseits und Jenseits, ein Innen und Außen. Ob im geläufigen Kontext der territorialen Landesgrenzen oder in individuellen, kulturellen und politischen Bereichen: Grenzen sind in ihrem vielschichtigen Ausmaß nicht in der Gesamtheit zu erfassen und bleiben in all ihren Formen wandel- und verhandelbar. Sie schaffen Schutzräume und Identität. Aber sie begrenzen auch, sie grenzen ein und sie grenzen ab. Sie verbinden und sie trennen und nur ein schmaler Grat liegt dazwischen.

Elf interdisziplinäre Künstler*innen begeben sich auf eine Gratwanderung zwischen diesen Extremen. Im Dialog zwischen Theorie und Praxis, zwischen Sicht- und Unsichtbarkeit öffnen sie eine neue Tür mit der Frage: Welche etymologische Bedeutung erhalten Grenzen in all ihren Facetten?

 

https://kunstform-wissenschaft.org/gratwanderung-zwischen-unsichtbaren-grenzen/

In der Ausstellung “Gratwanderung. Zwischen (un)sichtbaren Grenzen” treffen nun diese Erfahrungen, Definitionen, Interpretationen, Symbole und Gefühle aufeinander. Sie spielen miteinander und sie spielen sich gegenseitig aus. Sie stellen Strukturen und Konzepte zur Diskussion und laden zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Grenzraum ein. Im Mai 2021 ist die analoge Ausstellung im Kunstraum Potsdamer Straße Berlin virtuell in 360° begehbar, was ermöglicht, die interaktiven Formate der Projekte persönlich zu erfahren.

Künstler*innen: Lucia Bartholomäus, Friederike Buttgereit, Barnabás Böröcz, Gesa Hengerer, Ann Katzinski, Marco Melis, Frederike Potts, Elizaveta Ragozina, Anna Spiegelberg, Nora Wacker, Neslihan Yagiz

Gefördert und unterstützt von: studierendenWERK Berlin, Humboldt-Universitäts-Gesellschaft, Bologna.lab, Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, Fachschaftsrat Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation der Universität der Künste Berlin

360° Videos

Unsere Gratwanderung 

Video, 4:00 min, 2021, Gesa Hengerer und Ann Katzinski,

visuelle Umsetzung von Barnabás Böröcz

(Foto: Gesa Hengerer / Ann Katzinski)

Die Grenze | SEHE ich NICHT

Taktile Objekte, 2020, Elizaveta Ragozina


„Ein Blinder ist nicht blind. Er sieht nur anders.“
-Marion Gitzel

Ich besuche ein Museum und sehe mir die Kunstwerke an. Selbstverständlich, aber nicht für alle. Weltweit gibt es rund 37 Millionen blinde und 124 Millionen sehbehinderte Menschen. Die Augen als Organ des Sehsinns, mit dem wir bis zu 80 Prozent Informationen wahrnehmen, stellen für diese Gruppe eine Grenze dar. Die Folgen der Sehbehinderung sind, dass betroffene Personen auf andere Sinne angewiesen sind, um die Wahrnehmung zumindest teilweise zu kompensieren: primär auf Hören und Tastsinn. 

Mein Projekt beschäftigt sich mit taktiler Kunst: Ich erstelle mehrere taktile Bilder, die sowohl für sehbehinderte Menschen gedacht sind als auch für alle anderen, um in die Rolle einer Person mit Sehbehinderung schlüpfen und die Kunst mit verbundenen Augen erleben können. Die Kunst anders als gewohnt wahrnehmen: Kannst du durch Ertasten sehen?

https://kunstform-wissenschaft.org/die-grenze-sehe-ich-nicht/

(Foto: Gesa Hengerer / Ann Katzinski)

Die deutsche Grenze

Poster, 2020, Anna C. Spiegelberg

Wie schwierig Reisen ist, fällt nicht auf, wenn man einen deutschen Pass hat. Dieses Projekt soll einen kleinen Anstoß dazu geben, sich zu informieren, sich dessen im Urlaub und bei Reisen bewusst sein und sich dafür einzusetzen, dass mehr Menschen reisen und migrieren können, wie sie wollen. Wie mutig und organisiert, wie tolerant und ausdauernd, wie viel man zurücklassen und wie viel man ertragen muss, ist unglaublich und bewundernswert zu gleich: traurig und schrecklich, hoffnungsvoll und träumerisch. 

Dieses Projekt soll skizzieren, wie viele Grenzen es gibt, die es zu überwinden gilt, um gemeinsam leben zu können, um nach Deutschland zu kommen, um sich frei bewegen zu können. Es soll dazu auffordern, sich über nationalstaatliche Grenzen zu informieren, die Überwindung dieser zu politisieren und tiefen Respekt, Unterstützung, Solidarität und Bewunderung für alle Kämpfe gegen die nationalstaatlichen Grenzen zu haben. 

https://kunstform-wissenschaft.org/deutsche-grenze/

(Foto: Gesa Hengerer / Ann Katzinski)

Grenzkonsum

Video, 1:00 min, 2020, Frederike Potts und Lucia Bartholomäus

Wir wägen uns in Sicherheit. In den Grenzen unserer Wohnung, unserer sozialen Kreise, unserer finanziellen Sicherheit, unseres Kontinents, unseres Wohlstandes. In der Grenze zwischen uns und unseren Bildschirmen. Getrennt durch eine Glasscheibe konsumieren wir Leid und Unsicherheit. So wie wir Wein, gutes Essen und Gesellschaft konsumieren. Wir beobachten die Grenzerfahrungen anderer, ohne an die eigenen Grenzen stoßen zu müssen. Oder überschreiten wir doch zwischenzeitig unbemerkt unsere Grenzen?

Das Video porträtiert, wie die Konsumgesellschaft das Elend, insbesondere der Menschen des globalen Südens, als Konsumgut missbraucht. Was bedeutet die Distanz, die wir dadurch herstellen? Respektlosigkeit oder Selbstschutz? Die Medien überschwemmen uns ohne unsere Einwilligung mit Bildern, während wir nicht wissen, ob wir diese wirklich sehen wollen. Unser kollektiver Voyeurismus indessen ist hungrig nach mehr.

Kaum angeschaut und wahrgenommen treten die Bilder, die uns einen Augenblick zuvor noch schockiert haben, schon wieder in den Hintergrund. Gesehenes ordnet sich in eine abstrakte Masse an konsumiertem Leiden ein, während wir uns bereits anderen Dingen widmen.

https://kunstform-wissenschaft.org/grenzkonsum/

(Foto: Gesa Hengerer / Ann Katzinski)

Borderlands 

Installation, 2021,Marco Melis

The project explores the hypothesis that no border (and no boundary and no limit) exists without a corresponding borderland, as minuscule as it might be. It does so by trying to display how borderlands are the natural homeland of many dialectic processes — also of artistic dialectic processes that can analogically and aesthetically (as opposed to directly and objectively, conceptually, and ultimately linguistically) exhibit fundamental aspects of our experience in general. 

In particular, they can (analogically and aesthetically) display an indeterminate idea of totality that is the pre-condition of every determinate experience. Playing with the interstitial borderlands of the determinate, which tend to slip into the indeterminate, art can make us sense the unfathomable totality of our experience; make us feel, that is, like homo sapiens individuals standing on the borderland-everything, with no rules to follow except for the hypotheses, plans and possibilities we create ourself. So profound a freedom we can only stand for a moment, before going back behind borders.

https://kunstform-wissenschaft.org/borderlands/

(Foto: Sara Feilen / STW Berlin)

de.ep_pression

Video, 47:11 min, 2020, Neslihan Yagiz

„Das Thema ist einfach nur ätzend.“

Vor allem für die Menschen, die damit leben.

Depression ist eine psychische Krankheit.

Sie bedeutet große Herausforderung im Alltag

Und verlangt viel Feingefühl mit sich selbst.

Vier Menschen berichten von ihren Erfahrungen.

Es geht um das Persönliche und auch um das Miteinander:

Symptome, Hürden, Erkenntnisse, Umgang.

Gemeinsam wird etwas sichtbar gemacht,

Was sonst in unserer Gesellschaft tabuisiert wird.

Im Rahmen dieser Ausstellung entsteht ein Film,

Der Grenzen und Gratwanderungen von Menschen zeigt,

Die entlang dessen neue Pfade für sich entdecken.

Seid ermutigt in einen Dialog miteinander zu treten.

Achtsam, gesellschaftlich und politisch.

https://kunstform-wissenschaft.org/de-ep_pression/

(Foto: Gesa Hengerer / Ann Katzinski)

Balance

Fotoreihe, schwarz-weiß, 2020, Nora Wacker


„Die Schwärmerei für die Natur kommt von der Unbewohnbarkeit der Städte“
-Berthold Brecht

Gerade in einer Zeit wie dieser scheint die Frage, wie viel Zeit man zu Hause oder in der Natur verbringt, ein häufig auftretendes Gesprächsthema. Ein Ausgleich zwischen (Groß-)Stadt und „unberührter“ Natur, falls es solche in der Nähe von unseren Wohnorten noch gibt – all dies ist eine Frage der Balance – doch diese scheint immer intensiver zu schwanken.

Alles ist in Bewegung. Der Hektik entfliehen, die Neonreklamen und Menschenmassen hinter sich lassen, langsam zu Fuß gehen – sogar mit der Natur verbunden sein? Die Szenerie als Variation natürlicher Grün- und Brauntöne? Dominantes Grau in den Zentren der Städte? Noch immer bewegt sich alles – doch langsamer? Gleichmäßiger? Gar balanciert?

Wo lebst du? Wie viel Zeit verbringst du draußen? Wie viel Zeit davon verbringst du in der Natur? Zwischen Stadt und Natur – wo stehst du? 

Die Natur, die wir am häufigsten sehen, ist meist die um den eigenen Wohnraum herum. Doch was ist, wenn wir die Städte und Dörfer verlassen?

https://kunstform-wissenschaft.org/projekt-balance/

(Foto: Gesa Hengerer / Ann Katzinski)

Wie nah ist zu nah?

Happening, 2020, Marco Melis und Ann Katzinski

Die Distanz einer anderen Person fühlt sich nicht immer angenehm an. Sie fühlt sich vielleicht gar nicht mehr als eine Distanz an, sondern als eine Nähe, als zu nah. Diesem Wechselspiel des eigenen Empfindens persönlicher Grenzen in verschiedenen sozialen Kontexten wird hier eine interaktive Bühne gegeben. Das Happening erkundet mit interessierten Personen vor Ort ihr eigenes Näheempfinden und zielt darauf, spielerisch die Sensibilität persönlicher Grenzen zu reflektieren. 

Basierend auf dem Versuchsaufbau nach E. T. Hall experimentieren wir auf 7 Metern 50 in 7 Schritten mit dem Empfinden von 1 „nicht nah“ bis 5 „zu nah“. Wir dokumentieren das Erlebte und verknüpfen abschließend die interaktiven Versuche mit den Antworten auf unseren eingehenden Fragen, um das Happening besser zu verstehen. Relevant für das Einordnen des Empfindens sind für uns das Alter, das Geschlecht und die Kultur, der sich die Person zugehörig fühlt. Abschließend, ob und in welche Beziehung die Person zu uns beiden, als Versuchspartner und -partnerin steht: Fremde, Arbeit am selben Arbeitsplatz, Bekanntenkreis, Freunde, Familie, Partner.

Wir möchten dadurch die eigene Wahrnehmung persönlicher Grenzen schärfen und damit auch ein tieferes Verständnis für das Empfinden der Person gegenüber über Nähe und Distanz sensibilisieren.

https://kunstform-wissenschaft.org/nah/

 

(Foto: Gesa Hengerer / Ann Katzinski)

»Don’t Be A Spreader«

Sticker, 2020, Barnabás Böröcz

Der öffentliche Personennahverkehr bringt uns nahe an unsere Ziele, überdies bringt er uns auch Mitmenschen nahe – näher als uns lieb ist. Viele diejenigen, die Busse und Bahnen nutzen, erfahren deutliche Grenzüberschreitungen im Miteinander. Unangebrachte Sprüche, aufdringliche Blicke, zu enges Aufrücken und nicht zuletzt der Anblick breit gespreizter Männerbeine lösen Unwohlsein bis hin zum Gefühl der Belästigung aus.

Dem Phänomen »Manspreading«, seit 2014 ein Begriff für ebendiese männliche Haltung in öffentlichen Räumen, wirkt nun das Projekt »Don’t Be A Spreader« entgegen. Die Sticker wurden im typischen Corporate Design der BVG gestaltet und sollen ein Bewusstsein für den persönlichen Raum im öffentlichen Personennahverkehr schaffen und abträgliches Verhalten nachhaltig beeinflussen.

https://kunstform-wissenschaft.org/dont-be-a-spreader/

(Foto: Gesa Hengerer / Ann Katzinski)

Grenzen: Meine Erfahrungen, meine Assoziationen

Audioinstallation, 2021, Friederike Buttgereit und Ann Katzinski

Warum beschäftigen wir uns mit Grenzen? Das sind doch einfach…. Ja, was eigentlich? Der Begriff der Grenze ist vielfältig und kann für jeden von uns etwas anderes bedeuten, mit uns persönlich in enger Verbindung stehen oder abstrakt in weiter Ferne scheinen. So kann er zum Beispiel für die eine Sicherheit und für den anderen Gefahr repräsentieren. 

In unserer Umfrage standen erste Assoziationen mit dem Grenz-Begriff im Mittelpunkt, um persönliche Erfahrungen und Eindrücke der einzelnen Teilnehmenden sichtbar zu machen. Hierbei kristallisiert sich bei den uns vorliegenden Antworten sowohl eine Ambivalenz als auch ein Spannungsfeld in Bezug auf den Terminus heraus. Folgende Fragen wurden von den Teilnehmenden assoziativ beantwortet:

Was assoziierst Du, wenn Du an den Begriff der Grenze denkst?

Wie erfährst Du Grenzen?

Wie gehst du damit um, wenn Du Grenzen begegnest?

Welches Gefühl lösen Grenzen in Dir aus und warum?

Vier Fragen, vier Farben, viele Perspektiven: Wenn Du in die verschiedenen Assoziationen der Teilnehmenden eintauchen möchtest, greif einfach zu den Kopfhörern!

https://kunstform-wissenschaft.org/assoziationen-grenzen/

 

(Foto: Sara Feilen / STW Berlin)

Interviews

Ein Projekt von

studierendenWERK Berlin - Büro für Kultur & Internationales

Bereichsleitung

Mariona Solé Aixás (vertreten durch Nathalie Nicol)

Projektleitung + Ausstellungsbetreuung

Claudia Brieske

Kuratorinnen

Gesa Hengerer

Ann Katzinski

Redaktionsteam

Sara Feilen

Moritz Kußmaul

Danilas Abukevicius

Social Media + Öffentlichkeitsarbeit

Gesa Hengerer

Ann Katzinski

Jakob Urban

Audiovisuelle Aufnahmen

Sara Feilen

Moritz Kußmaul

Danilas Abukevicius

Video-Schnitt

Sara Feilen 

Claudia Brieske

Ausstellungsaufbau

Gonçalo Sena

Uli Westphal

Webseite

Jakob Urban

Sara Feilen

Gefördert und unterstützt von

studierendenWERK Berlin, Humboldt-Universitäts-Gesellschaft, Bologna.lab, Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, Fachschaftsrat Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation der Universität der Künste Berlin