01.05.2018

"Worüber wirst du schreiben?"

Mai 2018

"Worüber wirst du schreiben?", fragt mein Vater am Telefon. Er steht im Garten von dem Haus in England, wo ich aufgewachsen bin und passt auf die Rotkehlchen auf. Es gibt zwei männliche die harmonisch zusammen rumhüpfen. Er meint sie seien entweder Brüder oder ein schwules Pärchen, denn männliche Rotkehlchen tauchen eigentlich immer alleine auf.  

"Gute Frage", sage ich.

"Wahrscheinlich wieder mal über die Liebe", fährt er fort.

Ich muss ihn nicht sehen, um zu  wissen, dass er die von meiner Mutter genähte Schürze anhat. Mit Rotkehlchen Muster.

"Vati, ich schreibe nicht immer über die Liebe.", sage ich. Ich werde es  ihm zeigen.  

Am nächsten Tag sitze ich mit meiner Schwester vor der Bäckerei "Brotgarten" in Charlottenburg. Sie ist gerade mit ihrer Schicht fertig geworden und hat Mehl am Kinn. Sie ist beeindruckt. "Oh cool. Stadtschreiberin... Is that like town crier, wie Ausrufer sein?" Ich stelle mir vor, wie ich mit Glocke und Federhut rumflaniere. Hear ye, hear ye.

Ich meine, ich brauche einen Plan. Ich nehme mir also vor, am Wochenende viel zu erleben und darüber zu schreiben. Zwischendurch werde ich einen deutschen Roman lesen und neue, schöne Wörter aufschreiben, lernen und benutzen. Mein deutscher Wortschatz stagniert, die gleichen alten Wörter hängen so fade und gelangweilt im Kopf rum wie Teenager an einer unbenutzten Bushaltestelle im Dorf. Pull your socks up, sage ich mir selbst ganz streng am Freitag Abend, zieh deine Socken hoch.

Es passiert aber nicht. Die Zeit der Socken ist einfach vorbei. The best laid plans of mice and men often go awry. So hat es zumindest Robert Burns in seinem Gedicht an die Maus, deren Nest er kaputt geackert hat, geschrieben. Ich schlage kein Buch auf, nicht mal ein englisches, nicht mal Chimamanda Ngozi Adichie's Americanah, obwohl ich es gerade überall mit mir rumschleppe. 
Wie die Schmusedecke von Linus aber nicht ganz so angesabbert.

Stattdessen latsche ich in Birkenstock rum, sockenlos. Zwischendurch schlafe ich ungewohnt viel, kriege Sonnenbrand und habe zwei Unfälle mit Gabeln. Auf dem Netzfest im Gleisdreieckpark gehe ich der eigentlichen Veranstaltung aus dem Weg und liege stattdessen im Gras. Ich überlege, ob ich meinen neuen Facebook account wieder löschen soll. Später verfahre ich mich durch den Tiergarten auf dem Weg zum Miss Read Art Book Festival im HKW. Ich lasse mich kurz inspirieren und dann überfordern, staune darüber, wie man aus Donald Trumps Rede an die CIA Poesie machen kann, und trinke danach mit einer ebenfalls überforderten Freundin den ersten Aperol Spritz des Jahres im Sonnenuntergang an der Spree. Sonnenverabschiedung hieß es lange bei einem Freund aus Schottland, der jetzt auch hier wohnt.

Was vermissen wir von zu Hause? Die Freundin kommt aus den Staaten. Sie vermisst nichts und niemand. Man hat ja alles noch in irgendeinem Parallelleben. Und nach sechs Jahren in Berlin Wohnen hat man eh alles hier. Die Sonne verabschiedet sich so richtig, wir zittern und trinken weiter. Ich vermisse die Sachen schon während sie noch da sind. Ich sitze da an der Spree und trinke Aperol Spritz und vermisse schon am Spree sitzen und Aperol Spritz trinken.

"Deswegen schreibst du", sagt sie, "um die Sachen festzuhalten." Ich klammere mich an Americanah. Quatsch.

"Deswegen schreiben Leute auch über die Liebe", sagt mein Vater, die Rotkehlchen beobachtend. Um sie festzuhalten. Die Stadt und die Liebe... Er seufzt nostalgisch.