04.02.2018

WG-Gespräch

Februar 2019

 

INN. KÜCHE EINER STUDENTEN-WG – TAG

Die Küche einer Altbauwohnung in Tempelhof. Gemütlich, aber etwas durchgewohnt. Generationen von Studenten haben hier über die Jahre ihr Lager aufgeschlagen und beim Auszug alles Mögliche zurückgelassen: Auf dem Küchentisch und den Ablageflächen stapeln sich mindestens fünf Toaster, ein löchriger Topf – wie hat jemand das hinbekommen? -, Teller und haufenweise Geschirrtücher, eingehüllt in unterschiedlich dicke Schichten von Schmutz. Der Wasserhahn über der Spüle lässt sich nicht vollständig zudrehen, er tropft deutlich hörbar vor sich hin. Im Hintergrund setzt das Geräusch einer Bohrmaschine ein. Bricht ab, geht wieder los. Es kommt aus der Nachbarwohnung. Am Tisch in der Mitte des Raums – der viel zu neu wirkt für das zusammengestückelte Ambiente – sitzt JULE. Sie hat ein Buch vor sich, in dem sie angestrengt zu lesen scheint. Wir können den Titel nicht erkennen, aber sie hält es kopfüber. Hin und wieder nimmt sie einen Stift zur Hand und notiert sich etwas auf der Tischplatte.

Die Tür öffnet sich, und JULIUS betritt den Raum. Im selben Moment stoppt der Bohrer; im weiteren Verlauf ist er immer mal wieder im Hintergrund zu hören. JULIUS stoppt kurz, hört hin; dann geht er zur Spüle, lässt den Wasserkocher volllaufen und macht sich einen Tee. All das findet schweigend statt. JULE sieht erst auf, als er sich auf einen der Stühle setzt und seine Tasse mit dem Teebeutel neben ihr auf dem Tisch abstellt. Sie nickt kurz, nimmt die Tasse in die Hand und trinkt einen Schluck.

JULE
Nett von dir.

JULIUS
Das war meiner.

JULE
Kannst dir ja einen neuen machen.
Sie vertieft sich wieder in das Buch.

JULIUS
Wie war die Klausur?

JULE schreibt noch ein paar Buchstaben auf die Tischplatte, klappt das Buch zu und legt es beiseite.

JULE
Ganz okay. Wäre auch scheiße gewesen, die wiederholen zu müssen. Ich bin schon zwei Semester hinterher.

JULIUS
Und du studierst nochmal-?

JULE
Biologie.

JULIUS
Ich bin mir ziemlich sicher, dass letzte Woche die Antwort Medizin war.

JULE
Spielt das eine Rolle?

JULIUS
Mm. Was den Sonntag angeht.
Der Satz bleibt in der Luft hängen.

JULIUS
Also, ich weiß nicht, ob das-…wo ist eigentlich Julia?

JULE
Juliana. Sie hasst es, wenn du sie Julia nennst.

JULIUS
Was sind das überhaupt für bescheuerte Namen.

JULE geht darauf nicht ein, sondern nickt stattdessen in Richtung des Bohrmaschinengeräuschs.

JULE
Sie trifft die Vorbereitungen.

JULIUS
Also, ich wollte das eigentlich mit euch beiden besprechen, aber- sie macht was?

JULE
Man muss sowas vorbereiten. Das war dir klar, oder?

JULIUS
In unserem Haus? Wollt ihr gleich noch ein Schild an die Tür hängen? Ich dachte, ihr seid Profis!

JULE
Sind wir. Und das ist absolut nicht deine Baustelle. Deine Aufgaben liegen ganz woanders.  

JULIUS
Genau darüber will ich mit euch reden. Ich glaube, ich kann das nicht. Nee, ich weiß, ich kann das nicht.

Für JULE scheint das nicht unerwartet zu kommen. Eigentlich wundert es sie, dass es so spät zum Thema wird.

JULE
Und darauf kommst du jetzt warum?

JULIUS
Ich kann’s echt nicht. Ich weiß zu schätzen, was ihr für mich getan habt. Aber-
Ihr Gesichtsausdruck ändert sich nicht im Geringsten, der Tonfall bleibt genauso beiläufig wie zuvor. Aber es wird deutlich, dass sie sich nun auf ein anderes – und sehr gefährliches – Terrain begeben. In dem ein eigentlich eher unbedarfter Sportstudent mit Sicherheit nichts zu suchen hat.

JULE
Wir hatten eine Abmachung. Aber das weißt du.

JULIUS
Vielleicht gibt es irgendeine andere Art, auf die ich euch entschädigen kann? Ich kenn die Preise nicht, aber etwas Geld krieg ich bestimmt zusammen.

JULE
Wir haben keinen Preis. Deshalb bist du zu uns gekommen.
Er will etwas einwerfen, aber sie winkt ab.

JULE
Wir haben uns deinen Fall angehört. Juliana und ich haben entschieden, dass die Angelegenheit unsere Aufmerksamkeit wert ist. Es ist wichtig, dass du das verstehst. Wir schicken sehr viele Leute weg.

JULIUS
Der eigentliche Grund, aus dem ich zu euch gekommen bin, war, dass ich das nicht selber auf die Reihe bekommen habe. Da ist es doch etwas ironisch, dass ich jetzt jemand Wildfremdes…

JULE
Das ist die Bezahlung. Danach kannst du hier sofort weg. Obwohl, aus der Wohnung solltest du am besten schon vorher.

JULIUS
Warum?

JULE
Gasexplosion.

JULIUS
Ich soll ne ganze Wohnung in die Luft jagen?

JULE
Die entsprechende Person wird da sein.

JULIUS
Aber-

JULE
Sonst kriegt niemand was ab. Das ist mein Job.

JULIUS
Wofür braucht ihr mich denn dann?

JULE
Wir brauchen dich gar nicht. Du bezahlst.

JULIUS
Ich hab keine Ahnung, wie man…sowas…macht.

JULE
Das erklären wir dir. Und am Freitag vorher ziehen wir aus. Du auch.

JULIUS
Wirkt das nicht verdächtig?

JULE
Haben wir beim Einzug festgelegt. Der hier ist persönlich - wenn man so will.
Sie sieht ihn abwartend an.

JULIUS
Ich mach mich dann mal auf zur Uni.
Er steht etwas hastig auf.

JULIUS
Bis später.
Auf dem Weg zur Tür vermeidet er JULES Blick. Das Bohren hat aufgehört und das Tropfen des Wasserhahns klingt unnatürlich laut. JULIUS wird sich so weit wie möglich vom Acker machen; so viel ist klar. Am Freitag zumindest ist er mit Sicherheit nicht da.

JULE macht keine Anstalten, ihn aufzuhalten; sie schaut ihm nur schweigend zu. Fast abschätzend. Bevor er aus der Küche tritt, dreht JULIUS sich noch einmal zu ihr um.

JULIUS
Der Typ, wie heißt er?

JULE
Im Moment? Peer Winter.
Der Name wird gedanklich ad acta gelegt. JULIUS muss nur noch ein öffentliches Telefon irgendwo finden, von dem aus er anonym anrufen und den Mann warnen kann. Aber die Formulierung lässt ihn aufhorchen.

JULIUS
Und sonst?

JULE
Als ich ihn kannte? Julius.

ENDE