11.06.2020

porträt einer situation in holzdielenfarben und samt

Juni 2020

nachdem man in den noch-kalten see springt, kribbelt der ganze körper. er ist kurz wach und aufmerksam. er macht niemandem etwas vor. ich gehe nicht joggen und niemand, den ich kenne, oder niemand, den ich täglich sehe, geht joggen. es ist in ordnung, nicht joggen zu gehen, erzählen wir uns. ich bin ja auch vorher nicht joggen gegangen.

manchmal färbt sich der himmel über dem landwehrkanal, auf dem sich die boote mehren und mehren, bald ist kein platz mehr und die in der mitte kommen nicht mehr an den rand, wenn mal wer aufs klo muss, rosa und wir bleiben auf der brücke stehen.
es gibt keine routine. manchmal gehen wir spazieren. manchmal holen wir uns ein falafelsandwich in der mittagspause. ich weiß nicht mehr, was letzte woche so passiert ist. vielleicht waren wir spazieren. wir waren in brandenburg und sind in einen see gesprungen.

ich verliebe mich mal mehr, mal weniger mehr immer mehr in dich. ich verliebe mich in einen alltag, der nicht routiniert wird, aus dem einzigen grund, dass du jeden tag neu bist. ich verliebe mich in dich, wenn du weinend und fluchend auf dem balkon sitzt. es gibt eine bestimmte art, in der du weinst, in der ich verstumme und etwas fassungslos werde und nicht weiß, wie ich deinen großen und schweren körper festhalten soll. eine kleine katze zieht von einer plattensiedlung in das schlafzimmer und wir essen erdbeeren und blinzeln oft vor glück. wir gurren ihn an und gurren einander an. die serotoninspiegel steigen im haushalt.

das leben, das du vor mir hattest, wird immer ungefährlicher. der schatten, den du wirfst, vertrauter. im winter sind die gelben punkte der laterne verschwommen, während die brillengläser beschlugen, zu einem gelben fleck, dein kopf lag zwischen hals und schulter. ich habe ganz ruhig geatmet und gedacht, das ist es, das ist liebe, wenn sie unaufgeregt da ist, dieser gelbe fleck ist die farbe meiner gefühle für dich, lebendig und ruhig.

langsam zurück zur normalität heißt es und es wird kontrovers diskutiert was die normalität ist. manches wird vergessen, zum beispiel die eifersucht. nicht, die angst, etwas zu verpassen, oder der neid, darauf, was andere haben, sondern die eifersucht. es ist ziemlich unmöglich im moment, misstrauisch zu sein. ich weiß nicht, ob das gut ist, aber es sollte auch überlegt werden.

man hört träume besser, wenn es still ist, sagt sarah. hinter schweren samtvorhängen wird es laut hinter meinen lidern. ich erinnere mich selten, manchmal träume ich davon, eine handtasche zu kaufen oder neue schuhe und frage mich morgens, was mit mir eigentlich nicht stimmt. ich träume nie von kalten seen oder einem sandstrand.

die weichste stelle des katers befindet sich unter seinem kinn. dort fühlt es sich an, als wäre er eine teure kaschmirdecke. weil wir nicht nach new york fliegen können, laufen wir bei google maps die straßen entlang und ich zeige dir chicago, wo es die besten sandwiches gibt und wo barack obama zum frisör ging. wir rätseln, wie der sich wohl im moment fühlt.
in meine lauten träume webe ich bewusst erinnerungen an die heißen sommer in chicago. ich kann abrufen, wie sich der rasensprenger unter meinen füßen angefühlt hat im dicken gras des gartens, wie genau der kuchen meiner großmutter schmeckte und der viele lachs, der aus ihrem ofen kam. wie der brunnen gegenüber der guten sandwiches sich an meinen kinderfüßen anfühlte und wie mein lilafarbener rucksack, der bei target ausgesucht wurde, zu den rucksäcken der identischen zwillinge in der sommercampgruppe passten. heute schreiben die beiden mir nachrichten, wie gefangen sie sich in amerika fühlen.

auch sie gehen nicht joggen und es ist okay. es ist seltsam, ihnen zu erklären, was brandenburg ist.