19.12.2019

In der Zeit nach dem Nitrofilm macht einigen das Kino nur noch halb so viel Spaß

Dezember 2019

Dass man die Jugend überhaupt noch so rumsitzen lässt mit ihren Chipstüten in der Hand. Dass man die Geschmacksrichtungen riechen kann. Früher, da hätten wir uns das nicht getraut, da hat man sich sittsam in Zelten niedergelassen. Später in Räumen. Der einzige Geruch kam vom Projektor und jemand spielte sich am Klavier die Finger wund; der Vorführer blätterte wie manisch durch die einzelnen Bilder. Wenn man die Augen halb geschlossen hatte, konnte man glauben, dass da ein Fenster ist. Dadurch konnten wir in undeutlichem Schwarz und Weiß die Figuren sehen oder eher, dass wir eigentlich hinter der Kamera stehen und die Risse im Filmmaterial gruben sich beim Betrachten in alle Gesichter ein. Damals haben wir natürlich eine ehrfurchtsvolle Stille im Kino noch nicht gekannt – es war ja niemand, dem man zuhören musste, vorhanden. Also hatte man mehr Kommentatoren als Zuschauer im Saal, da bleibt für Essen in der Mundhöhle nicht mehr viel Platz. Man bewunderte ja die filigrane Ausfüllung der Linien in verschiedenen Farben. Ein Signal, dass das Vorgeführte bearbeitet ist und doch auch ein Zeichen von Nähe. Damit etwas zum Einfärben da ist, müssen welche ihre Körper als Flächen der Kamera übergeben haben. Wir konnten uns immer kaum losmachen von dieser Erkenntnis, außer für den kurzen Moment, den es brauchte, den vor uns Sitzenden ihre Hüte vom Kopf zu schlagen. Zwecks Sichtkontakt. Heute besteht dazu längst keine Notwendigkeit mehr, man hat ja die hinteren Reihen angehoben. Da befindet man sich zum Beurteilen auch in geeigneter Position und könnte sich ganz versenken in die Bildfläche, wäre da nicht da leise Knacken der Chips, das sachte in die Dialoglücken fällt. Nächstes Mal gehen wir auf jeden Fall nach Charlottenburg, da essen sie im Kino nicht. Oder sie essen nur heimlich.