31.05.2018

Gestern habe ich...

Mai 2018

 

Gestern habe ich mit meiner ex-Freundin geskypt. Sie Flog vor einundeinhalb Jahren den weiten Weg von Australian nach Berlin, um hier ein Master Semester abzuschließen, und ist dann letzten März zurück geflogen. Ich kam in 2012 von England, um in Berlin Urlaub zu machen, und bin hängen geblieben, wie so viele. Meine ex-Freundin ist jetzt irgendwo, wo „es ist hier recht kalt geworden“ so was bedeutet wie: „es ist um die 20 Grad.“ Es gibt da Kängurus, und der Himmel ist größer und weiter und breiter und heller.

Immerhin, hier gibt es dafür gerade Schneeregen und Grau. (Ich tue so, wenn ich mit ihr rede, als ob es was Beneidenswertes wäre.) Schregen, so heißt es bei meiner Mitbewohnerin, mit der ich seit ein halbes Jahr meine 46qm Wohnung teile. Länger, sogar. Thank God for das Hochbett im Wohnzimmer. So richtig Kreuzberg ist die Wohnung, mit Dusche hinten in der Küche. Wenn man morgens frühstückt, sitzt man direkt vor einer orangenen Hängematte, die noch nie zum liegen und lesen benutzt wurde. (Wann habe ich das letzte Mal ein Buch gelesen, for fun, inhaliert wie früher bei meinen Eltern in meinem kleinen Zimmer unterm Dach?) Wenn meine Mitbewohnerin duscht und ich die Augen so halb zusammen kneife beim gekochtes Ei essen kann ich mir vorstellen, dass ich in Australian bin. Das Licht von der kahlen Glühbirne neben der Dusche strahlt sanft und gelblich durch die Hängematte, und es klingt wie mehrere Wasserfälle auf einmal. So stelle ich mir es vor da drüben.

Komm doch her, meinte meine ex-Freundin. Easy peasy, als ob ich wie ein flacher Stein so ganz lässig über die Erdoberfläche hüpfen könnte. Komm du doch her, sagte ich. Ich habe so viele Bücher noch von ihr, Kathy Acker, Hinton Al, Irvine Welsh. Eileen Myles habe ich damals im Flixbus auf dem Weg zur Ostsee mit ihr verloren. Das Buch, nicht die Frau. In Berlin guckt man nicht zwei mal wenn zwei Frauen sich küssen; in Stralsund war es eine ganz andere Geschichte. Räucherfisch, einen merkwürdigen Schwäne-Dreier, die endlose, leere Strecke Sand, und Leute, die sich umdrehten und starrten. Daran erinnere ich mich.

Wir haben uns das letzte Mal im Mai 2017 auf dem Computerbildschirm gesehen. Da haben wir Schluss gemacht und beide leise geheult. Danach bin ich bei Anna Durkes Pistazien Eis essen gegangen, in einer meiner Lieblingsstraßen, die Graefestraße. Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich da wohnen, mit Balkon und Badewanne und ganz viel Licht, alles weiß und sauber und ordentlich, und kein Kleinkram. Mahagonifarbene Holzdielen, die nicht knarren und quietschen, besonders dann, wenn man unsichtbar sein will, auf Zehenspitzen geht. In der Graefestraße wäre ich bestimmt „my best self“, wie man im Englischen so schön sagt.

Was ist passiert, fragte eine gute Freundin damals im Mai. Ich aß die dritte Kugel und erzählte. Sie hat mitgelitten. Ich stelle mir das schwierig vor, mitzuleiden, wenn man gerade Jemanden kennen gelernt hat. Es war Tag der Arbeit, alle tranken Bier unweit von der Eisdiele, und wanderten mit glasigen Augen die Oranienstrasse hoch und runter. Ich wollte einfach nur im Landwehrkanal mit nackte Beine und Plastik Hummus Topf auf dem Bauch balanciert im Schlauchboot liegen, den ganzen Sommer lang. Vielleicht auch mit Buch und Bier und Zigarette und Sonnenbrille. Traurig sein passte nicht ins Bild, und ich beschloss mich zusammen zu reißen.

Nur in der Uni habe ich mich mit Traurigkeit beschäftigen müssen: in mein English Studies MA Seminar habe ich über die Melancholie in Early Modern Englische Literatur gelernt; über wie man im 15. und 16. Jahrhundert getrauert hat; über Jealousy und Passion und Compassion. Manchmal habe ich heimlich hinter meinem Thermos Kaffee ein bisschen geweint.

Reiß dich zusammen: brutal und hart, das Gegenteil von „self-care“ (worüber ich übrigens, als ich das erste Mal den Begriff gehört habe, laut lachen musste. Heute sehe ich ein, dass es wichtig ist beim Durchfeiern eine Magnesiumreiche Banane einzupacken, fleißig jeden Morgen Vitamin B12 zu nehmen, mal so mit einem selbst zu reden, als ob man eine gute Freundin wäre, usw.) Es gibt im Englischen nichts wie „Reiß dich zusammen“. Rip yourself together: ein Paradox, aber so habe ich es letztendlich auch gemacht. Es war brutal. Ich war Cardioqueen, To-Do List Schreiberin Extraordinaire, die meist schlafgestörte Nachteule und Early Bird gleichzeitig, die ich kannte. Ich habe zu allem Ja gesagt. Neue Leute, OK Cupid Dates, Jobs — bezahlt und unbezahlt — Parties, Bücher, Lesebühnen, Extreme Fahrradtour Pläne. Yes yes yes, habe ich gesagt, bis ich dann doch irgendwann no sagen musste.

Meine ex-Freundin lächelt mich an von sehr weit weg. Wir lachen erst mal viel und wissen nicht genau, wo wir anfangen sollen mit erzählen. Ich habe jemand kennen gelernt, und ihre Freundin, mit der sie damals schon zusammen war, hat vor kurzem mit ihr Schluss gemacht. Sie sagt auch gerade zu vielem Ja. Komm du doch her, sage ich. In Berlin gibt es Grau und Schregen. Es gibt das beste Eis außerhalb Italien. Es gibt Tanzen und Parks und Nachtruhe. Es gibt Fahrrad fahren. Der Tempelhoferfeld. Die Gallerien. Es gibt Denglish. Es gibt mich.

Dazu sagt sie leider nicht Ja, aber wir gehen ein Kompromiss ein. Japan im September soll auch schön sein.