13.05.2019

[Es bemüht sich]

Mai 2019

 

Eins: Der Campus schnarcht.
Es ist schon wieder warm geworden über Nacht, aber plötzlich, und alle laufen in ihren Win-terjacken rum. Unterm Wind, auf der strukturellen Ebene, spürt man immer noch die Kälte. Aber die Luft flimmert, wie sie das tut, wenn es heiß ist, und der Campus verschwimmt leicht beim darauf Zugehen. Beim Hinschauen hebt und senkt sich die Kuppel wie ein schlafendes Tier. Ich bekomme das Gefühl, dass ich taub werden müsste, wenn ich die Frequenzen wahr-nehmen könnte, die hier am Werk sind. Die Luft schmeckt und ich versuche, mich gedanklich zu fokussieren. Heute fällt mir alles ins Gesicht. Wer die Schwingtür am Haupteingang hinter sich zufallen lässt, ändert die Bewegungsart und beginnt zu wuseln.

Zwei: Der Campus stellt sich gerade hin.
Die Steine haben eine Geradlinigkeit, die über ihre geometrische Form hinausgeht. Die Sta-tuen wirken unmenschlich in ihrer Kantigkeit, aber das ist vermutlich auch besser so. Wer will schon beim Vorbeigehen auf einmal schwere Hände auf den Schultern spüren? Sie haben keine Pferde, sonst würde ich mir vielleicht eins ausleihen. So trete ich normal durch den Ein-gang. Aus dem Augenwinkel denke ich, die Wände rücken zusammen; aber sie bleiben fast krampfhaft starr. Sie halten sich aufrecht, als ob sie die Steine durch Druck und nicht Mörtel beieinander halten müssten. Unten im Hof gibt es einen Bücherbasar. Oben spannen Wasser-speier die Muskeln an. Niemand weiß, wo sie hergekommen sind. Sie breiten ihre Flügel aus und lächeln.

Drei: Der Campus schwebt.
Zwanzigster Stock, so hoch kann einem das Essen im Aufzug gar nicht kommen. Aber meine Füße stehen einen Tick leichter auf dem Boden; als ob sie nicht mein ganzes Gewicht tragen müssen. Durch das Fenster duckt sich die Stadt, sie hat Angst. Oder keine Abwehr gegen den Wind um die Ohren. Die Mensa ist mit Stühlen dicht bestapelt, trotzdem bewegt man sich nicht eingeengt, sondern wie auf Aussichtsplattformen, wo der Raum einen von allen Seiten auseinanderzieht. Man schwankt, damit das Gebäude stillstehen kann. Hinter mir klappert Besteck; vorwärts kann ich über Hausdächer bis zur Sonne sehen, die auf dem Horizont liegt und ausblutet. Das Gebäude streckt sich nach oben aus und versenkt die Antennen in Abend-wolken. Drinnen taste ich mit.