17.06.2019

draußen, heißt es, kotzt die landschaft maulwürfe aus. hier drinnen zittern grashalme in den asphaltritzen.

Juni 2019

 

Abend

Abends nach dem Sonnenuntergang hat sich alles in Form gebrannt und meine Füße kleben nicht mehr am Boden fest. Ich stoße mich ab und schwebe auf den Potsdamer Platz. Es ist leicht windig, aber zum Glück beeinträchtigt das die Lenkung nicht allzu stark. Stand zumindest in der Anleitung, aber inzwischen ist das Gerät schon lange genug auf dem Markt. So richtige Fehler wären bestimmt aufgefallen, das rede ich mir zumindest ein. Der Platz ist voll wie immer, aber durch die Geräte haben sich unterschiedliche Schichten an Spaziergängern gebildet – wir oben über dem ersten Stock und unten die anderen am Boden. Meistens kommt man sich nicht ins Gehege. Ausnahmen gibt es immer wieder, letzte Woche ist jemand abgestürzt und hat dabei unten ein paar Leute verletzt. Die Untersuchung deswegen läuft noch, sagt die Zeitung, aber das Unternehmen, das die Geräte herstellt, hat schon angekündigt, dass es in Zukunft eine Art Führerschein ausstellen wird. Samt dazugehörigen Kursen und Prüfungen, damit ein solcher Fall von Pilotenversagen nicht noch einmal vorkommt. Sie nennen die Kunden wirklich Piloten, und alle Versuche der Gewerkschaften, dagegen vorzugehen, sind bisher gescheitert.

Ich stelle mich vor dem Schnellimbiss-Fenster im zweiten Stock an und gebe meine Bestellung auf. Am Anfang war es noch schwierig, bis die Geschäfte auf die Idee gekommen sind, dass man die Wartezeiten in Schlangen halbieren kann, wenn man oben ein paar Mitarbeiter ans Fenster stellt. Die Krähen scheinen es übel zu nehmen, dass man ihnen den Luftraum streitig macht, aber die beachtet sowieso niemand. Die Geräte machen es schwierig, sich in der Luft zu prügeln, deshalb darf man sie nur ohne Alkohol im Blut benutzen. Die Schlangen oben sind dadurch sehr viel ruhiger. Wenn mich jemand anschaut, bleibe ich still.

Mein Brötchen in der Hand, lasse ich mich wieder etwas gen Boden sinken und bemerke den dichten Nachtnebel dort, der nur hin und wieder von dicken Scheinwerferstrahlen durchstoßen wird. Wer läuft, watet knietief darin. Trotzdem lässt sich keiner davon abbringen, Schlange zu stehen. Ein neuer Film läuft im Kino. Draußen auf dem Land, hat man mir erzählt, werfen Sprinkleranlagen das Getreide mit Wassertropfen ab. Es ist heiß genug, dass ich mich demnächst auf die Reise dahin machen kann. Der Platz schwankt ein bisschen vor Müdigkeit und ich weiche dem Bahnturm aus, der nur noch mit Mühe die Fenster offenhalten kann. Eine Scheibe klirrt und fällt zu Boden. Ein paar Passanten und ich schauen uns an und denken, morgen wird ein anderer sie austauschen. Solange liegt das gesplitterte Glas irgendwie bedrohlich auf dem Asphalt. Ich drehe mich um und verlasse langsam den Platz.

Nacht

Ich habe an meinem Gerät vergessen, die Batterien für die Lichter auszutauschen, und muss jetzt vorsichtig sein, um nicht an Hauswände zu stoßen. Es ist so dunkel, dass sich meine Augen nicht daran gewöhnen können. Nach einer Weile bilde ich mir ein, Hindernisse vor mir hören zu können. Als ob sie Töne ausstrahlen. Keine Ahnung, woher das kommt, aber ich stoße nirgendwo an. Ich lasse mich etwas ziellos treiben und werde hin und wieder überholt. Es ist so dunkel, dass ich das Bedürfnis bekomme, zu schreien. Das Gerät gibt meinen Gewichtsverlagerungen mühelos nach, so sehr, dass es sich anfühlt, als ob da gar nichts ist unter mir. Das ist gefährlich, steht im Handbuch, fett gedruckt und unterstrichen. Man darf sich natürlich in der Luft nicht vom Gerät entfernen. Ich bin viel zu schnell am Alexanderplatz und kreise um den Fernsehturm. Wenn man nach oben will, ist das die einzige Möglichkeit; in Spiralen zu fliegen. Gerade nach oben kommt das Gerät nicht. Ich kreise, und bin irgendwann an der Spitze, leicht schwindelig. Unter mir schläft die Stadt, unruhig, wie sie das tut. Sie hat sich auf den Rücken gewälzt. Es ist so dunkel, dass ich die Windrichtung nicht mehr spüren kann.

Morgen

Der Sonnenaufgang sieht aus der Luft etwas eindrucksvoller aus, aber nicht viel. Vielleicht so, als ob man beim Sternegucken nachts den Horizont ein Stück absenken könnte. Davor wuseln andere Piloten mit ihren Geräten durch die Luft und hinterlassen Einschnitte. Ich lasse mein Gerät langsam in Richtung Boden gleiten. Es ist kühler geworden und die rötlichen Wolken deuten einen richtigen Sommer erst an. Nach vorsichtigem Steuern komme ich unten an. Ich klappe das Gerät zusammen und fühle unter meinen Füßen den Boden. Er ist fester als gedacht.